• Fachmagazin
  • Praxisfälle
  • Umgehung von Kündigungsschutzvorschriften?: Befristete Arbeitsverhältnisse und Kettenarbeitsverträge

Praxisfälle

Umgehung von Kündigungsschutzvorschriften?: Befristete Arbeitsverhältnisse und Kettenarbeitsverträge

Befristete Arbeitsverträge sind gesetzlich explizit vorgesehen und weit verbreitet. Weil damit aber auch Kündigungsschutzvorschriften umgangen werden können, ist die Aneinanderreihung von mehreren befristeten Arbeitsverträgen (sog. Kettenarbeitsverträge) ohne sachlichen Grund unzulässig.

Von: LL.M Gian Geel   Teilen  

LL.M Gian Geel

Gian Geel, LL.M., ist Rechtsanwalt in der Fachgruppe Arbeitsrecht am Standort Zürich und Partner in der Kanzlei Reichenbach Rechtsanwälte AG.

 

Umgehung von Kündigungsschutzvorschriften?

Befristete Arbeitsverträge
Im Obligationenrecht sind befristete Arbeitsverträge nur rudimentär und primär in Art. 334 OR geregelt. Von Gesetzes wegen befristet ist der Lehrvertrag (Art. 244 ff. OR). Gemäss Art. 334 Abs. 1 OR enden befristete Arbeitsverträge automatisch ohne Kündigung mit dem Ablauf der Befristung. Wird ein befristetes Arbeitsverhältnis nach dem Ablauf der vereinbarten Dauer stillschweigend fortgesetzt, so gilt es als unbefristetes Arbeitsverhältnis (Art. 334 OR Abs. 2 OR). Das gilt nicht bei nur geringfügigen Verlängerungen. 

Die Befristung muss mindestens bestimmbar sein. Ist sie nicht wie in aller Regel durch ein Datum bestimmt, sondern von einem Ereignis abhängig gemacht worden, so darf dieses nicht im alleinigen Einflussbereich bloss einer Partei liegen.

Keine ordentliche Kündigung 
Eine ordentliche Kündigung und damit vorzeitige Beendigung des befristeten Arbeitsverhältnisses vor dem Ablauf der Befristung ist von Gesetzes wegen grundsätzlich nicht vorgesehen. Erst nach Ablauf von zehn Jahren kann jede Vertragspartei ein auf längere Dauer abgeschlossenes, befristetes Arbeitsverhältnis jederzeit mit einer Kündigungsfrist von sechs Monaten auf das Ende eines Monats kündigen (Art. 334 Abs. 3 OR).

Dessen sollten sich die Parteien vor Abschluss eines befristeten Vertrags bewusst sein, insbesondere bei längerer Vertragsdauer. Immer möglich ist selbstverständlich eine Kündigung aus wichtigen Gründen im Sinne von Art. 337 OR, wobei die diesbezüglichen Anforderungen aber sehr hoch (Unzumutbarkeit der Fortsetzung) und die drohenden Konsequenzen gravierend sind. 

Daher kann auch bei einem befristeten Vertrag die zusätzliche Vereinbarung einer vorzeitigen, ordentlichen Kündigungsmöglichkeit Sinn ergeben. Es ist im Einzelfall abzuwägen, ob das Interesse an einer langfristigen Bindung bis zum Ablauf der Befristung oder an einer Auflösungsmöglichkeit überwiegt.

Kein Kündigungsschutz 
Aus Sicht der Arbeitnehmenden haben befristete Arbeitsverträge den gravierenden Nachteil, dass sie nicht gekündigt werden müssen und daher die zwingenden Vorschriften des sachlichen und zeitlichen Kündigungsschutzes nicht spielen. Zu denken ist dabei insbesondere an den Sperrfristenschutz (z.B. bei Arbeitsunfähigkeit infolge Krankheit oder Unfall), welcher den Arbeitnehmenden entgeht. Denn mit Ablauf der Befristung endet der Arbeitsvertrag, egal ob die Arbeitnehmenden arbeitsfähig sind oder nicht.

Kettenarbeitsverträge
Von Kettenarbeitsverträgen spricht man, wenn zwei oder mehrere befristete Arbeitsverträge zwischen denselben Parteien aneinandergereiht werden, dies entweder nahtlos oder mit nur kurzen Unterbrüchen dazwischen.

Drohender Rechtsmissbrauch 
Einige Schlaumeier unter den Arbeitgebenden dachten sich angesichts der eingeschränkten Arbeitnehmerrechte bei befristeten Arbeitsverträgen natürlich sofort: «Wir schliessen nur noch aneinandergereihte, befristete Arbeitsverträge ab, dann werden wir die Arbeitnehmenden ohne Kündigungsschutz einfacher wieder los.» 

Liegt allerdings das Motiv für die Aneinanderreihung befristeter Arbeitsverträge (sog. Kettenarbeitsverträge) in einer solchen Umgehung zwingender Arbeitnehmerrechte, ist das rechtsmissbräuchlich und daher nicht zu schützen.

Rechtsfolge unzulässiger Kettenarbeitsverträge
In solchen Fällen des Rechtsmissbrauchs werden die umgangenen Normen dennoch angewendet. Insbesondere werden die einzelnen befristeten Arbeitsverträge umgedeutet in einen einzigen unbefristeten Arbeitsvertrag. Mangels vertraglicher Vereinbarung finden dann die gesetzlichen Kündigungsfristen Anwendung.

Sachlicher Grund erforderlich
Schliessen die Parteien Kettenarbeitsverträge ab, ist dies zunächst einmal atypisch, da ihnen ja eigentlich das normale Konstrukt des unbefristeten Arbeitsvertrags für langfristige Arbeitsbeziehungen zur Verfügung stünde. Insofern geht die Gerichtspraxis in solchen Fällen davon aus, dass mit solch einem Konstrukt Umgehung von Kündigungsschutzvorschriften? Befristete Arbeitsverhältnisse und Kettenarbeitsverträge Befristete Arbeitsverträge sind gesetzlich explizit vorgesehen und weit verbreitet. Weil damit aber auch Kündigungsschutzvorschriften umgangen werden können, ist die Aneinanderreihung von mehreren befristeten Arbeitsverträgen (sog. Kettenarbeitsverträge) ohne sachlichen Grund unzulässig. Von Gian Geel ARBEITSRECHT § eine rechtsmissbräuchliche Umgehungsabsicht verfolgt wird, ausser es liege ein sachlicher Grund für die Kettenarbeitsverträge vor (z.B. Verlängerung eines Projekts oder eine erneute Stellvertretung). Schon die mehrfache Befristung von Anstellungsverhältnissen ohne vernünftigen Grund kann zur Annahme einer Umgehungsabsicht führen.

Lehre und Rechtsprechung bejahen einen sachlichen Grund für Kettenarbeitsverträge insbesondere regelmässig bei der Anstellung von Kunstschaffenden (z.B. Musizierende und Schauspielende), Profisportler* innen, Saison- und Gelegenheitsarbeitenden sowie Lehrkräften mit Anstellungen für jeweils ein Semester oder Schuljahr. Gemäss Bundesgericht seien grundsätzlich Besonderheiten des Arbeitsverhältnisses oder besondere betriebliche Umstände wie beim Bühnenengagement, beim Einsatz in einem Saisonbetrieb oder bei der Ausbildung des Nachwuchses sowie die wirtschaftliche Situation eines Unternehmens als sachliche Motive anzuerkennen. Befristete Anstellungen von Lehrer*innen seien besonders dann sachlich gerechtfertigt, wenn das Ende einer Anstellung mit grosser Wahrscheinlichkeit feststehe (vgl. BGer 2P.26/2007, E. 3.7 m.w.H.).

Aber auch in den vorgenannten Branchen sind immer alle Umstände des Einzelfalls massgebend. So wurde auch schon bei jahrzehntelang immer wieder befristet angestellten Lehrern ein stabiles Arbeitsverhältnis festgestellt, weshalb kein sachlicher Grund für die Befristung vorliege (vgl. BGer 4A_2015/2019 E. 3.1.3. m.w.H.).

Auf der anderen Seite kann auch ein nachvollziehbares Arbeitnehmerinteresse einen sachlichen Grund darstellen, weshalb ein befristetes Arbeitsverhältnis auf Wunsch von Arbeitnehmenden verlängert bzw. wiederholt werden kann (z.B. Überbrückung der Zwischenzeit bis zu einer neuen Anstellung in einem anderen Betrieb). Generell ist es in der Praxis ratsam, die sachlichen Gründe für Kettenarbeitsverhältnisse zu dokumentieren, um diese in einem allfälligen späteren Gerichtsprozess nachweisen zu können.

Teilweise wird in Lehre und Rechtsprechung die Ansicht vertreten, eine bloss einmalige Verlängerung eines befristeten Arbeitsverhältnisses sei grundsätzlich zulässig. Dieser Ansicht ist nicht zu folgen. Denn findet die einmalige Verlängerung ohne sachlichen Grund statt, ist wie vorstehend ausgeführt von einer Umgehung zwingender Vorschriften auszugehen und das rechtsmissbräuchliche Ergebnis zu korrigieren. Umgekehrt führt eine mehrmalige Verlängerung aber zunehmend zur Annahme einer Umgehungsabsicht, weshalb die Anforderungen an den sachlichen Grund steigen dürften.

Fazit
Der im Gesetz immerhin vorgesehene, aber nur rudimentär geregelte befristete Arbeitsvertrag beinhaltet angesichts des verminderten Kündigungsschutzes im Wiederholungs- bzw. Verlängerungsfall ein gewisses Rechtsmissbrauchspotenzial. Deshalb ist für die Zulässigkeit von Kettenarbeitsverträgen ein sachlicher Grund erforderlich, was wiederum eine gewisse Rechtsunsicherheit verursacht. Im Zweifelsfall können die daraus entstehenden Risiken immerhin mit der Vereinbarung einer kurzen Kündigungsfrist abgemildert werden.

(Dieser Praxisfall ist in der Ausgabe November 2024 von personalSCHWEIZ erschienen)

Fachmagazin jetzt abonnieren
personalSCHWEIZ
  • Kompetent
  • Fokussiert
  • Praxisorientiert
  • Swissmade
Seminar-Empfehlungen
  • Praxis-Seminar, 1 Tag, ZWB, Zürich

    Arbeitszeit und Absenzen

    Sicherer Umgang mit Arbeitszeit, Mehrstunden, Ferien und Elternpflichten

    Nächster Termin: 20. Mai 2025

    mehr Infos

  • Praxis-Seminar, 1 Tag, ZWB, Zürich

    Rechtssichere Verwarnung und Kündigung in der Praxis

    Rechtskonform vorgehen und kommunizieren

    Nächster Termin: 26. Juni 2025

    mehr Infos

  • Praxis-Seminar, 1 Tag, ZWB, Zürich

    Arbeitsverträge, Reglemente und Spezialvereinbarungen

    Rechtssichere Gestaltung, Formulierung und Umsetzung

    Nächster Termin: 25. Juni 2025

    mehr Infos

  • Fachmagazin
  • Praxisfälle
  • Umgehung von Kündigungsschutzvorschriften?: Befristete Arbeitsverhältnisse und Kettenarbeitsverträge

Um unsere Website laufend zu verbessern, verwenden wir Cookies. Durch die Nutzung dieser Website stimmen Sie der Verwendung von Cookies zu. Mehr Infos