Praxisfälle

Lohnbestandteil vs. freiwillige Gratifikation: Performance Management im Arbeitsrecht

Performance Management im HR-Kontext beinhaltet zahlreiche Aspekte mit arbeitsrechtlicher Relevanz wie beispielsweise Zielvereinbarungen und sich daran anlehnende Bonussysteme. Dieser Artikel beleuchtet ausgewählte Schnittstellen näher, um das Bewusstsein für arbeitsrechtliche Konsequenzen zu schärfen.

Von: LL.M Gian Geel, Marc Ph. Prinz   Teilen  

LL.M Gian Geel

Gian Geel, LL.M., ist Rechtsanwalt in der Fachgruppe Arbeitsrecht am Standort Zürich der Kanzlei Vischer.

 

Marc Ph. Prinz

Marc Ph. Prinz, LL.M., ist Leiter des Arbeitsrechtsteams der Kanzlei VISCHER. Er verfügt über langjährige Praxiserfahrung in allen Fragen des Arbeitsrechts. Er berät Arbeitgeber und Kader und vertritt diese in Gerichtsprozessen, insbesondere im Bereich Vergütung und Bonus.

Lohnbestandteil vs. freiwillige Gratifikation

Generelles
Performance Management bedeutet übersetzt Leistungsmanagement. Es umfasst im HR-Kontext alle Aktivitäten und Prozesse mit dem Ziel, die Leistung der Mitarbeitenden zu steuern und diese optimal für das Erreichen der Unternehmensziele einzusetzen. Vereinfacht gesagt kann das Performance Management vom Ablauf her in drei Hauptphasen unterteilt werden: Zielsetzung, Bewertung und Konsequenz. Alle diese Phasen sind für die arbeitsrechtliche Seite der Beziehung mit den Mitarbeitenden höchst relevant und geben regelmässig Anlass zu Streitigkeiten und Gerichtsprozessen. Vorgesetzte und HR-Mitarbeitende sollten sich daher der Wechselwirkungen zwischen den Bereichen stets bewusst sein, um teure Fehler zu vermeiden.

Zielvereinbarungen und Boni
Bei der Steuerung der Leistung von Mitarbeitenden spielen positive Anreize wie variable Vergütungen (sog. Boni) eine zentrale Rolle. Viele Bonussysteme in Unternehmen verknüpfen die einseitige Ansetzung oder Vereinbarung von Zielen (sei es auf jährlicher Basis oder bereits im Arbeitsvertrag) mit variablen Vergütungen basierend auf der Zielerreichung.

Dabei ist es zunächst einmal wichtig, klare und verständliche Verträge bzw. Reglemente zu schaffen. Denn Unklarheiten oder Widersprüche werden von den Gerichten regelmässig zulasten der Arbeitgebenden ausgelegt, aus deren Feder die meist einseitig diktierten Bestimmungen stammen. Im internationalen Kontext sollten aus anderen Rechtsordnungen stammende Bonuspläne stets unter der Optik des Schweizer Arbeitsrechts überprüft und gegebenenfalls angepasst werden. Gerade aus dem liberalen angelsächsischen Raum stammende Bonuspläne werden oft unbesehen auf Arbeitnehmende in der Schweiz angewandt, obwohl sie einer Überprüfung nach hiesigem Arbeitsrecht nicht standhalten.

Die – aus arbeitsrechtlicher Sicht – wohl entscheidendste Frage im Zusammenhang mit variablen Vergütungen ist, ob diese einen zwingend geschuldeten Lohnbestandteil oder eine freiwillige Gratifikation darstellen. Aufgrund ihrer weitreichenden Konsequenzen beschäftigt diese Frage die Gerichte regelmässig, und es besteht eine reichhaltige Rechtsprechung mit Kriterien und Umständen, die aus einem vermeintlich freiwilligen Bonus einen zwingend geschuldeten Lohnbestandteil machen können. Letzterer kann eingeklagt und nicht von der Bedingung des ungekündigten Arbeitsverhältnisses abhängig gemacht werden.

Das wichtigste (wenn auch bei Weitem nicht einzige) Kriterium zur Qualifikation eines Bonus ist, ob die Arbeitgeberin Ermessen bezüglich seiner Ausrichtung bzw. Höhe hat oder nicht. Gemäss Bundesgericht zeichnet sich die Gratifikation nämlich gegenüber dem Lohn dadurch aus, dass sie zum Lohn hinzutritt und immer in einem gewissen Mass vom Willen des Arbeitgebers abhängt. Die Gratifikation wird damit ganz (echte Gratifikation) oder zumindest teilweise (unechte Gratifikation) freiwillig ausgerichtet. Eine unechte Gratifikation ist anzunehmen, wenn zwar ein Anspruch auf Ausrichtung des Bonus besteht, der Arbeitgeberin aber bei der Festsetzung der Höhe des Bonus ein Ermessen zusteht.

Ein Ermessen ist zu bejahen, wenn die Höhe des Bonus nicht nur vom Erreichen eines bestimmten Geschäftsergebnisses, sondern zudem auch von der subjektiven Einschätzung der persönlichen Arbeitsleistung durch die Arbeitgeberin abhängig gemacht wird. Ein im Voraus festgesetzter und fest vereinbarter Betrag kann daher keine Gratifikation sein. Dasselbe gilt, wenn die Höhe des Bonus zwar nicht im Voraus festgelegt wurde, dieser jedoch anhand vereinbarter Geschäftsdaten (z.B. Umsatz) eindeutig berechnet werden kann.

Hier kommt die Zielvereinbarung bzw. kommen die angesetzten Ziele ins Spiel. Nach modernem Performance-Management-Verständnis sollen Ziele möglichst SMART sein (SMART steht für spezifisch, messbar, ausführbar, realistisch, terminiert). Dabei sollte man sich aber bewusst sein, dass aus arbeitsrechtlicher Perspektive die Ansetzung messbarer Ziele regelmässig dazu führt, dass der betreffende Bonus zum Lohnbestandteil und damit einklagbar wird.

Soll also kein einklagbarer Anspruch auf einen Bonus bestehen oder dieser im ungekündigten Arbeitsverhältnis nicht ausbezahlt werden, muss bei der Vereinbarung bzw. Festlegung der Ziele darauf geachtet werden, dass die Beurteilung der Ziele im Ermessen der Arbeitgeberin liegt. Denkbar ist auch eine Kombination von ermessensbasierten (z.B. gute Leistung als Führungskraft) und berechenbaren (z.B. Umsatz) Zielfaktoren, deren
Multiplikation letztendlich den Bonus bestimmt. So bleibt der gesamte Bonus ermessensabhängig und behält dadurch seinen Gratifikationscharakter.

Ist beispielsweise im Arbeitsvertrag oder Bonusreglement festgehalten, dass die Ziele jährlich vorab vereinbart oder festgelegt werden müssen, verletzt die fehlende Festlegung bzw. Vereinbarung der Ziele eine Obliegenheit der Arbeitgeberin. In solchen Fällen haben Arbeitnehmende nach herrschender Gerichtspraxis grundsätzlich trotzdem einen Bonusanspruch, unter Umständen sogar in voller Höhe. Daher empfiehlt es sich, bereits im Arbeitsvertrag oder Bonusreglement klar zu regeln, wie vorzugehen ist, wenn vorab keine Ziele vereinbart bzw. festgelegt wurden. Idealerweise sollte dann die Arbeitgeberin vertraglich ermächtigt sein, die Ziele im Nachhinein in ihrem Ermessen festzulegen und deren Erreichung in guten Treuen, aber wiederum im eigenen Ermessen zu beurteilen.

Mitarbeiterbeurteilungen als Beweismittel
Ein weiteres, unverzichtbares Instrument des Performance Managements ist die Mitarbeiterbeurteilung, welche meist auf jährlicher Basis erfolgt. Darin sollen den Mitarbeitenden ihre Stärken und Schwächen aufgezeigt und Ziele zur Weiterentwicklung definiert werden. Vorgesetzte befinden sich hierbei oft in einer unangenehmen Situation: So sollen sie einerseits Schwächen aufzeigen und Verbesserungen anregen, möchten aber andererseits die Mitarbeitenden motivieren und das Verhältnis zu diesen nicht beeinträchtigen. Das führt in der Praxis oft dazu, dass die Leistung und das Verhalten tendenziell zu gut bewertet wird und negative Punkte verschwiegen oder höchstens ganz zaghaft angedeutet werden.

Eine solche Praxis kann und wird regelmässig vor Gericht gegen Arbeitgebende verwendet werden. Dort zählt nämlich nur, was man beweisen kann. Waren die Mitarbeiterbeurteilungen stets sehr gut und ohne Kritik, wird die Arbeitgeberin vor Gericht Mühe haben, zu begründen, wieso beispielsweise die Kündigung ausgesprochen oder bloss ein genügendes Arbeitszeugnis ausgestellt wurde.

Auch negative Aspekte der Leistung und des Verhaltens gehören in eine ausgewogene Mitarbeiterbeurteilung und sollten in sachlicher, konstruktiver Weise in den Dialog mit den Mitarbeitenden eingebracht werden. Dokumentation ist wichtig. Möchte man negative Vorfälle nicht gleich in der Mitarbeiterbeurteilung erwähnen, kann eine Aktennotiz im Personaldossier oder eine interne E-Mail für Belege sorgen, welche im Bedarfsfall Monate oder gar Jahre später wieder ausgegraben werden können.

Performance Improvement Plan (PIP) und Kündigungen
Ist die Leistung oder das Verhalten derart ungenügend, dass die blosse Ermahnung in der Mitarbeiterbeurteilung nicht mehr ausreicht, kann sich ein Performance Improvement Plan («PIP») aufdrängen. In einem PIP werden die Bereiche aufgelistet, in denen Verbesserungen in Bezug auf Leistung oder Verhalten erforderlich sind. Es werden darin Ziele angesetzt, die der Mitarbeitende innerhalb einer bestimmten Frist erreichen muss, da ansonsten Disziplinarmassnahmen (beispielsweise Versetzung, Degradierung oder Kündigung) drohen.

Ein PIP ist zwar grundsätzlich nicht gesetzlich vorgeschrieben, kann aber als «Warnschuss» Mitarbeitende auf den rechten Pfad zurückführen und so eine Kündigung vermeiden. Falls es danach doch noch zur Kündigung kommt, dient der PIP als Beweismittel für schlechte Leistungen und insbesondere mildere Massnahmen vor der Kündigung. Gerade falls eine missbräuchliche Kündigung behauptet wird, kann ein vorgängiger PIP entscheidend sein für die Interessenabwägung der Gerichte.

Insbesondere bei der sogenannten Alterskündigung langjähriger Mitarbeitender kurz vor der Pensionierung nimmt die Gerichtspraxis unter Berücksichtigung aller Umstände oft eine erhöhte Fürsorgepflicht von Arbeitgebenden an. In solchen Fällen wird eine «letzte Chance» unter Fristansetzung zur Verbesserung der Defizite (wie in einem PIP) vorausgesetzt, bevor die Kündigung ausgesprochen werden darf. Ansonsten wäre die Kündigung missbräuchlich, was eine Entschädigungszahlung von bis zu sechs Monatslöhnen zur Folge haben kann.

Zwischenzeugnis und Schlusszeugnis
Die vorstehenden Erwägungen zur Mitarbeiterbeurteilung gelten analog auch für Arbeitszeugnisse. Auch hier werden ausgestellte Arbeitszeugnisse in Gerichtsprozessen betreffend Boni oder missbräuchliche Kündigungen regelmässig zu dem Zweck verwendet, um angeblich tadellose Leistungen und Verhalten der Mitarbeitenden zu belegen. Auch hier besteht oft ein beträchtlicher Druck von Arbeitnehmerseite, ein angesichts der tatsächlichen Leistung eigentlich zu gutes Arbeitszeugnis auszustellen. Von Gesetzes wegen soll ein Arbeitszeugnis einerseits wohlwollend sein, andererseits aber auch wahr. Die Gerichtspraxis ist streng mit den Arbeitgebenden und trägt ebenfalls dazu bei, dass im Zweifelsfall ein eher zu gutes Arbeitszeugnis ausgestellt wird.

Beim Zwischenzeugnis kommt zusätzlich noch der Motivationsgedanke hinzu; die Mitarbeitenden sollen durch ein «nettes» Zwischenzeugnis zu guten Leistungen und Verhalten angespornt werden. Allerdings wird ein im Verhältnis zur gesamten Anstellungsdauer eher gegen Ende der Anstellung ausgestelltes Zwischenzeugnis es sehr schwierig machen, im Schlusszeugnis noch negativ davon abzuweichen. Dafür wären gravierende, belegte Vorfälle erforderlich, die im Verhältnis zur gesamten Anstellungsdauer als relevant anzusehen sind, da ohne ihre Berücksichtigung oder Erwähnung ein falsches Gesamtbild über die Leistungen bzw. das Verhalten des Mitarbeitenden entstehen würde. Dessen sollte man sich bei der Ausstellung eines Zwischenzeugnisses bewusst sein.

Fazit
Richtig eingesetzt können die verschiedenen Instrumente des Performance Managements die Leistungen und das Verhalten von Mitarbeitenden lenken und sie zu Höchstleistungen anspornen. Davon profitieren sowohl die Mitarbeitenden als auch die ganze Unternehmung.

Vorgesetzte und Personalverantwortliche sollten beim Performance Management aber immer auch allfällige arbeitsrechtliche Konsequenzen im Blick haben und diese rechtssicher managen. So kann ein böses Erwachen vor Gericht vermieden werden.

(Dieser Praxisfall ist in der Ausgabe April 2024 von personalSCHWEIZ erschienen)

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