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Fahrerlaubnis entzogen — mögliche arbeitsrechtliche Folgen: Fristlose Kündigung nach Führerausweisentzug

Was passiert, wenn eine angestellte Person ihren Führerausweis abgeben muss? Darf ich als Arbeitgeber*in der betroffenen Person das Arbeitsverhältnis fristlos auflösen? Der Beitrag zeigt die arbeitsrechtliche Lage und gibt Handlungsempfehlungen, wie Unternehmen beim Führerausweisentzug von Mitarbeitenden vorgehen sollten.

Von: Roger Geier   Teilen  

Roger Geier

Rechtsanwalt Roger Geier ist spezialisiert auf die Bearbeitung von Fällen im Strassenverkehrsrecht, Fahrzeugvertragsrecht, Versicherungsrecht, Strafrecht und Vertragsrecht. Er besitzt über zehn Jahre Berufserfahrung.

Fahrerlaubnis entzogen — mögliche arbeitsrechtliche Folgen

Verkehrsregel vorsätzlich missachtet und Unfall verursacht
Das Bundesgericht hat 2017 eine fristlose Entlassung eines Chauffeurs geschützt, welcher mit einer Geschwindigkeit von mindestens 11 km/h über ein Stoppsignal hinaus auf die Strasse fuhr und mit einem korrekt fahrenden Personenwagen kollidierte1. Der Strafrichter hat den Vorfall als grobe Verkehrsregelverletzung eingestuft. Das Strassenverkehrsamt entzog den Führerausweis für drei Monate. Die vom Chauffeur gerufene Polizei entzog ihm vor Ort den Führerausweis. Noch am selben Tag kündigte die Arbeitgeberin dem Chauffeur fristlos.

Aus rechtlicher Sicht gilt das Folgende: Nach dem Obligationenrecht kann das Arbeitsverhältnis jederzeit fristlos aufgelöst werden, sofern wichtige Gründe bestehen. Als wichtiger Grund gilt namentlich jeder Umstand, bei dessen Vorhandensein dem Kündigenden nach Treu und Glauben die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses nicht mehr zugemutet werden darf. Über das Vorhandensein solcher Umstände entscheidet der Richter nach seinem Ermessen, darf aber in keinem Fall die unverschuldete Verhinderung des Arbeitnehmers/der Arbeitnehmerin an der Arbeitsleistung als wichtigen Grund anerkennen.

Das Bundesgericht verlangt von Berufsfahrer*innen überdurchschnittliche Kenntnisse des Strassenverkehrsrechts und besondere Aufmerksamkeit. Je schwerer das Fahrzeug, desto mehr gilt dieser Grundsatz, weil auch das Betriebsrisiko und die Unfallgefahr steigen. Im genannten Fall war aktenkundig festgestellt, dass das Stoppschild vorsätzlich (also in Kenntnis der Verkehrsregel und gewollt) überfahren worden ist. Das Verhalten stufte das Gericht als sehr riskant und arbeitsrechtlich als schwere Sorgfaltspflichtverletzung ein. Das Vertrauen in die Erwartung, sich in Zukunft an die Einhaltung elementarer Verkehrsregelvorschriften zu halten, wurde insbesondere durch das vorsätzliche Hinwegsetzen, tiefgreifend erschüttert. So sehr, dass der Arbeitgeberin eine Weiterbeschäftigung bis zum Ablauf der ordentlichen Kündigungsfrist nicht mehr zuzumuten war. Entscheidend war also das Verhalten des Chauffeurs.

Bei einem Führerausweisentzug kommen grundsätzlich zwei wichtige Gründe infrage, welche eine fristlose Kündigung rechtfertigen.

1. Ein Fehlverhalten der Arbeitnehmerin/des Arbeitnehmers
Hier geht es um das konkrete Verhalten der beschäftigten Person im Verkehr als Lenker. Kann man ihr einen persönlichen und schweren Vorwurf machen, welcher sich auch tatsächlich auf das Arbeitsverhältnis auswirkt? Im oben beschriebenen Fall wurde das Vertrauen deshalb tiefgreifend erschüttert, weil er sich mit Wissen und Wollen über elementare Verkehrsregeln hinweggesetzt hat. Man muss davon ausgehen, dass er charakterlich ungeeignet ist als Berufsfahrer. Zumindest ist es dem/ der Arbeitgeber*in nicht mehr zuzumuten ihn weiterzubeschäftigen, weil das Risiko einer Wiederholung zu gross ist. Die Auswirkungen sind darin zu erblicken, dass sein/ihr Eigentum (Fahrzeuge) unmittelbar betroffen ist, aber auch das Risiko für Haftpflichtansprüche von Geschädigten (Vermögen) oder Arbeitsausfälle zunimmt.

Liegt ein wichtiger Grund im Fehlverhalten, muss der/die Arbeitgeber*in sofort die Kündigung aussprechen, nachdem er vom Verhalten der beschäftigten Person erfährt. Wird zu lange zugewartet, geht man davon aus, dass es für den/die Arbeitgeber*in nicht unzumutbar ist, ordentlich zu kündigen. Weil man das genaue Verhalten und die Umstände nicht immer kennt, besteht eine bleibende Unsicherheit, dass kein wichtiger Grund vorliegt, weil sich zum Beispiel später herausstellt, dass doch nur ein leicht fahrlässiges oder sogar kein strafrechtlich relevantes Verhalten vorliegt.

2. Verlust des Führerausweises als wichtiger Grund
Anders als oben erwähnt, wird der wichtige Grund nicht im Verhalten an sich, sondern in der Tatsache erblickt, dass faktisch nicht mehr weitergearbeitet werden kann. Auch hier ist zu prüfen, ob ein wichtiger Grund vorliegt und ob es dem/der Arbeitgeber*in zuzumuten ist, die betroffene Person weiterzubeschäftigen. Von dieser Konstellation ist nicht leichtfertig auszugehen. Diesfalls müssen der konkrete Fall und die Auswirkungen auf den Betrieb betrachtet werden. Wie lange dauert der Entzug? Kann der/die Mitarbeiter*in anderweitig eingesetzt werden? Falls ja, ist davon auszugehen, dass eine Weiterbeschäftigung zumutbar ist. Kann der/die Mitarbeiter*in nicht anderweitig beschäftigt werden, ist es jedoch auch nicht immer so, dass immer ein wichtiger Grund vorliegt.

Weil der wichtige Grund nicht im Verhalten der betroffenen Person, sondern in der verunmöglichten Berufsausübung erblickt wird, ist m.E. die fristlose Kündigung am ersten Tag des Vollzugbeginns auszusprechen. Dem betroffenen Mitarbeitenden ist dies so vorgängig zu kommunizieren, im Sinne einer Androhung einer fristlosen Kündigung auf den tatsächlichen Vollzugsbeginn des Führerausweisentzugs. Eine Alternative wäre eine sofortige fristlose Kündigung mit Wirkung auf den rechtskräftigen Abgabetermin hin. Auch diese Variante ist meines Erachtens rechtmässig und natürlich noch einfacher umsetzbar, jedoch im Gesetz nicht so explizit vorgesehen.

Einzelfragen

Wenn ich der betroffenen Person keine Arbeit zuweisen kann, muss ich ihr weiter Lohn entrichten?
Liegt das Verschulden für den Führerausweisentzug bei der beschäftigten Person, kann der/die Arbeitgeber*in von ihr verlangen, während des Ausweisentzugs Ferien zu beziehen oder Überstunden abzubauen. Letztlich kommt auch der Bezug eines unbezahlten Urlaubs in Betracht. Es besteht sodann keine Verpflichtung zur Lohnfortzahlung. Bei andauerndem Ausweisentzug stellt dies auch einen ordentlichen Kündigungsgrund dar, da die entsprechende Position mit einer neuen Person besetzt werden müsste.

Bringen Formulierungen in Arbeitsverträgen etwas, wonach bei Führerausweisentzügen das Arbeitsverhältnis fristlos beendet wird?
Eigentlich legt das Gesetz abschliessend und zwingend die Gründe für eine fristlose Kündigung fest. Andererseits wird dem Gericht ein Ermessen eingeräumt, welches nicht durch parteiinterne Abreden beschränkt werden kann. Solche «einvernehmliche» Konkretisierungen von wichtigen Gründen für eine Kündigung können dem Gericht immerhin bei der Auslegung des Begriffs Zumutbarkeit helfen.

Wer haftet, wenn mit dem Geschäftsfahrzeug ein Unfall passiert?
Gemäss Art. 321e Abs. 1 OR ist die angestellte Person für den Schaden verantwortlich, den sie absichtlich oder fahrlässig dem/der Arbeitgeber*in zufügt. Bei leichtem Verschulden wird davon ausgegangen dass der/die Arbeitnehmer*in nicht für den Schaden aufkommen muss. Bei mittlerem oder grobem (oder sogar vorsätzlichem) Verhalten kann der/die Arbeitgeber*in eine Beteiligung oder sogar die volle Übernahme des Schadens verlangen. Letztlich müssen noch, unter anderem, das Berufsrisiko, Bildungsgrad und Fachkenntnisse, die Fähigkeiten der angestellten Person, ein allfälliges Mitverschulden des/der Arbeitgeber*in mitberücksichtigt werden.

Handlungsempfehlung bei Führerausweisentzug
1. Fürsorgliche Arbeitgebende sollten, wenn immer möglich, eine Lösung suchen, den/die Mitarbeiter*in anderweitig im Betrieb einzusetzen. Geht dies nicht, versuchen Sie, mit Überstunden, Ferienbezug oder einem unbezahlten Urlaub eine Lösung zu suchen.

2. Mahnen Sie den/die Arbeitnehmer*in umgehend auch bei kleineren Verstössen ab und weisen Sie ihn/sie auf das gewünschte Verhalten hin. Verstösst die angestellte Person wiederholt gegen kleinere Vorschriften, kann dies ebenfalls einen Grund für eine fristlose Vertragsauflösung darstellen.

3. Lassen Sie sich vor einer fristlosen Kündigung nochmals rechtlich von einer Anwältin/einem Anwalt beraten, handeln Sie aber auf jeden Fall rasch.

Quellen
1 4A_625/2016 Urteil des Bundesgerichts von 2017

(Dieser Praxisfall ist in der Ausgabe März 2024 von personalSCHWEIZ erschienen)

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