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Experten-Interviews
Talentmanagement: Das Wissen im Unternehmen halten
personalSCHWEIZ: Frau Urban, welchen Stellenwert hat das Talentmanagement in der Unternehmensstrategie der AXA Winterthur?
Wendy Urban: Die AXA Winterthur durchläuft zurzeit eine Transformation hin zu einer agilen Organisation, die wir mittels verschiedener struktureller und kultureller Massnahmen realisieren wollen. Dazu gehören – wo sinnvoll – der Abbau von Hierarchien, die Stärkung der Spezialistenlaufbahn und damit einhergehend ein neues Rollenverständnis von Führungskräften und Spezialisten sowie die weitere Stärkung unserer Unternehmenskultur. Bei diesen Massnahmen nimmt HR und im Besonderen das Talentmanagement eine Vorreiterrolle ein: Neue Modelle bzw. Arbeitsformen werden zuerst HR-intern als Pilotprojekt ausprobiert. HR und damit auch das Talentmanagement sind Teil der Geschäftsleitung und damit in der Unternehmensstrategie vertreten.
Wodurch zeichnet sich Ihr Talentmanagement aus?
Unser Talentmanagement stützt sich auf vier Faktoren: Erstens ist es die Transparenz gegenüber unseren Talenten und gegenüber dem Management. Unsere Talente wissen von Anfang an, welche Erwartungen und Anforderungen an sie gestellt werden und welchen Status sie haben werden. Und das Management bzw. der Vorgesetzte hat dank aktueller Kennzahlen stets einen Überblick zur Talentsituation im unterstellten Bereich, z.B. zur Talent- oder Geschlechterverteilung oder zum Stand der einzelnen Entwicklungspläne. Ein zweiter Erfolgsfaktor ist der starke Praxisbezug: Alle unsere Entwicklungsangebote sind so konzipiert, dass sie einen grossen Nutzen und Mehrwert für das Unternehmen bringen – es sind also keine künstlichen Assessment-Center. Ein dritter Punkt ist das Commitment unserer Geschäftsleitung. Wir – die Geschäftsleitung eingeschlossen – verwenden viel Zeit für die Identifizierung unserer Talente. Ein letzter Punkt ist unsere Flexibilität. Bei der AXA ist das Talentmanagement nämlich kein pfannenfertiges Programm. Vielmehr besteht es aus einzelnen Bausteinen, was ein auf das einzelne Talent zugeschnittenes Programm ermöglicht.
«Transparenz ist uns wichtig. Unsere Talente wissen von Anfang an, welche Erwartungen an sie gestellt werden.»
Welche Ziele verfolgt Ihr Talentmanagement?
Ein Ziel unseres Talentmanagements ist es, die Strategie und die Transformation des Unternehmens voranzutreiben, indem Talente als unternehmerisch handelnde Multiplikatoren ihren Stärken und Entwicklungszielen entsprechend eingesetzt werden. Ein weiteres Ziel ist die Nachfolgeplanung, also Nachfolger sowohl lokal als auch global für das Unternehmen aufzubauen und das kritische Wissen im Unternehmen zu halten. Wir erreichen diese Ziele mit einem stark institutionalisierten Talentmanagement-Prozess, der jedes Jahr neu startet.
Wie läuft dieser Prozess genau ab?
Im ersten Quartal werden die Talente nominiert, im restlichen Jahr geht es dann um ihre Entwicklung. Nach den Nomina-tionen werden in verschiedenen Gremien in einem Bottom-Up-Prozess verschiedene Kalibrierungen vorgenommen und eine Auswahl an Talenten getroffen. Im Mai werden dann in einem Geschäftsleitungsmeeting alle Talente diskutiert. In einem weiteren Schritt informieren wir alle Vorgesetzten und die entsprechenden Talente über die spezifischen Entwicklungsmassnahmen.
«Unser Talentmanagement soll die Transformation hin zu einer agilen Organisation vorantreiben.»
Wie identifizieren Sie potenzielle Talente?
Für den Talentstatus haben wir zwei Kriterien: die Leistung und das Potenzial. Die Leistung definiert sich aus der Zielerreichung und dem Verhalten. Diese Anforderungen und Kriterien sind bei uns sehr transparent, die entsprechenden Informationen sind für alle Mitarbeitenden im Intranet einsehbar. Die Nomination erfolgt entweder über den Vorgesetzten in einem Mitarbeitergespräch oder – und das ist ganz neu bei uns – ein Mitarbeitender nominiert sich in Eigeninitiative und in Absprache mit dem Vorgesetzten selbst. Damit wollen wir auch die Eigenverantwortung der Mitarbeitenden fördern.
Talente können bei Ihnen parallel zu ihren Kernaufgaben bestimmte Sonderprojekte übernehmen. Was ist die Idee dahinter?
Generell haben wir die Auffassung, dass die meiste Entwicklung bei allen Mitarbeitenden und nicht nur bei den Talenten on the job stattfinden sollte. Das fängt schon bei der Zielsetzung an. Hier ermutigen wir die Mitarbeitenden, eigene Vorschläge zu machen. Nebst der Entwicklung on the job bieten wir viele klassische Entwicklungsangebote wie 360-Grad-Feedback, Mentoring-Programme und Netzwerkanlässe. Ein weiterer Teil sind unsere strategisch relevanten Sonderprojekte, die ich besonders empfehle, weil sie alle Aspekte des Talentmanagements umfassen: der Mitarbeitende wird gefordert, gefördert und vernetzt. Hier sehe ich auch die grösste Effektivität. Die Mitarbeit in Sonderprojekten ist bei uns nicht zwingend, aber wenn die Talente dafür bereit sind und die Ressourcen dafür haben, möchten wir das auch fördern. Inhaltlich entstehen diese Sonderprojekte oft aus einem Zusammenspiel von Unternehmensbereich und Talentmanagement.
«Wir wollen die Mitarbeitenden nicht ‹binden›, sondern ihnen so attraktive Karrieremöglichkeiten bieten, dass sie freiwillig im Unternehmen bleiben.»
Wo liegen für Sie die grössten Herausforderungen im Talentmanagement?
Talentmanagement befindet sich ja generell in einem Spagat zwischen kurzfristigen Investitionen in einen Mitarbeitenden und der Frage, was daraus der langfristige Unternehmensnutzen sein wird. Diesen Link aufzuzeigen, sehe ich als die grösste Herausforderung. Hier spielen aber auch unsere Talente selbst eine grosse Rolle, denn sie müssen ja ihren Vorgesetzten erst einmal vom Nutzen einer bestimmten Initiative überzeugen. Aber auch wir vom Talentmanagement versuchen natürlich, die Erfolge und den Mehrwert für das Unternehmen in der Kommunikation oder bei Abschlussanlässen aufzuzeigen.
Wie versuchen Sie, Talente langfristig ans Unternehmen zu binden?
Richard Branson, der Gründer von Virgin, hat einmal gesagt: «Train people well, so they can leave. Treat them well enough, so they don’t want to.» Das ist auch unser Credo: Wir wollen die Mitarbeitenden nicht «binden», sondern wir wollen ihnen attraktive Karrieremöglichkeiten und spannende Aufgaben bieten, sodass sie freiwillig im Unternehmen bleiben. Dazu gehört im Sinne der Transparenz auch, dass wir Mitarbeitende informieren, wenn sie als potenzielle Nachfolger gesehen werden. Die Mitarbeitenden wissen also um ihre Perspektiven. Zudem haben wir eigene Anlässe, an denen wir die Perspektiven und Entwicklungsmöglichkeiten allen Mitarbeitenden näherbringen. Und unsere Talente erhalten von uns massgeschneiderte Informationen bezüglich offener Stellen und möglicher Einsätze im Ausland.
Lesen Sie das komplette Interview in der Februar-Ausgabe von personalSCHWEIZ
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Zur Person
Wendy Urban, lic. phil./Master of Science, ist Psychologin und seit September 2015 Leiterin Talentmanagement bei der AXA Winterthur. Sie arbeitet seit 2009 für die AXA und hat langjährige Erfahrungen auf dem Gebiet des Talentmanagements und der Personalentwicklung gesammelt. Die zur AXA-Gruppe gehörende AXA Winterthur beschäftigt über 4000 Mitarbeitende und ist der führende Allbranchenversicherer der Schweiz. Das Geschäftsvolumen beträgt über 12 Milliarden Franken.
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