Experten-Interviews

März 2024

Responsible Leadership & Coaching: «Vertrauen muss nicht erst verdient werden»

Auf Augenhöhe führen, Mitarbeitende in Entscheidungsprozesse einbeziehen, Wertschätzung zeigen — diese Leadership-«Basics» setzen sich immer mehr durch. Responsible Leadership erweitert die «klassische» Verantwortung für Mitarbeitende und Unternehmenserfolg um die moralische und ethische Verantwortung von Führungskräften für ihre Handlungen und Auswirkungen auf die Gesellschaft. Im Titelinterview sprechen wir mit Nicholas Hänny, CEO und Gründer des Schweizer Modelabels NIKIN, über persönliche Werte und ethische Grundsätze in der Führung. Wie er Nachhaltigkeit persönlich lebt, und warum er sich politisch engagieren möchte, lesen Sie im Interview.

Von: Dave Husi   Teilen  

Dave Husi

Dave Husi ist Chefredaktor von personalSCHWEIZ.
Zuvor hat er bei einem Medien-Startup Gründerluft geschnuppert und war bei einem Fachverlag im Medizinbereich journalistisch tätig.

Responsible Leadership & Coaching

Herr Hänny, Sie führen als CEO von NIKIN ein Unternehmen mit knapp 50 Mitarbeitenden. Was bedeutet Führung für Sie persönlich?
Für mich ist Führung mehr, als nur strategische Entscheidungen zu treffen; es geht um eine Balance zwischen dem Führen des Unternehmens als Ganzes und der individuellen Förderung jedes Teammitglieds. Es bedeutet, eine Umgebung zu schaffen, in der Kommunikation, Strukturen und Ziele klar sind, während ich gleichzeitig jeder und jedem Einzelnen die Möglichkeit gebe, das volle Potenzial zu entfalten. Dies beinhaltet, ihre Stärken zu erkennen, sie in ihrer Entwicklung zu unterstützen und eine Kultur des Vertrauens und des Respekts zu pflegen.

Hatten Sie, bevor Sie Ihr eigener Chef geworden sind, Vorgesetzte, die Sie dazu inspiriert haben, so zu führen, wie Sie dies heute tun?
Ja, mein ehemaliger Chef Parand Rohani hat mich massgeblich geprägt. Er vertraute uns im Team viel Verantwortung an, gab konstruktive und menschliche Kritik und legte grossen Wert auf die emotionale Komponente der Führung. Sein Führungsstil hat mich inspiriert, ähnliche Werte in meiner eigenen Führungspraxis zu verankern. Hätte ich nicht ihn als Chef vor meiner Zeit bei NIKIN gehabt, wäre möglicherweise mein Führungsstil zumindest ein bisschen anders. Das ist aber heute schwierig zu beurteilen, da meine Grundwerte von dazumal natürlich heute noch dieselben sind und ich so führe, dass ich tagtäglich hinter meinem Führungsstil stehen kann.

Gibt es Dinge, die Sie bewusst anders handhaben als frühere Chefinnen oder Chefs?
Ich bemühe mich, eine offene Feedbackkultur zu fördern, wo Kritik nicht nur topdown, sondern in alle Richtungen fliessen kann. Ich glaube, dass jede und jeder im Unternehmen, unabhängig von seiner Position, wertvolle Inputs und Ideen bieten kann. Daher ermutige ich alle, ihre Meinungen und Ideen offen zu teilen, um gemeinsam als Team zu wachsen. Perfekt funktioniert dies natürlich nicht. Denn obwohl ich enorm offen bin, gibt es vermutlich Mitarbeitende bei uns, die noch zu viel Respekt davor haben, mir ihre ehrliche Meinung zu sagen.

Welche Art von Führung wird bei NIKIN gelebt?
Bei NIKIN leben wir eine Führungskultur, die von Verständnis und Flexibilität geprägt ist. Wir legen Wert darauf, alle Mitarbeitenden als Individuen zu sehen, und schaffen flexible Arbeitsbedingungen, die es jeder und jedem ermöglichen, Beruf und Privatleben bestmöglich zu vereinbaren. Zudem denke ich, dass wir sehr «Harmonie-getrieben» führen und uns auch den Bedürfnissen des Teams stets anzupassen versuchen.

Wie integrieren Sie persönliche Werte und ethische Grundsätze in die Führungspraxis?
Respekt, Gleichheit und Chancengerechtigkeit sind für mich zentrale Werte, die ich in meiner Führungsarbeit bei NIKIN vorzuleben versuche. Ich strebe danach, ein Arbeitsumfeld zu schaffen, in dem sich jede und jeder unabhängig von Herkunft, Religion oder sexueller Orientierung willkommen und wertgeschätzt fühlt. Diese Werte spiegeln sich auch in unserer Kommunikation und unserem Engagement für die Umwelt wider.

Mit NIKIN übernehmen Sie ein Stück weit Verantwortung für die Umwelt. Wie überträgt sich diese Haltung in verantwortungsvolle Führung?
Unser Engagement für die Umwelt ist eng mit unserem Verständnis von verantwortungsvoller Führung verknüpft. Wir betrachten Nachhaltigkeit nicht nur unter ökologischen Gesichtspunkten, sondern beziehen auch soziale Aspekte mit ein. Dies bedeutet, dass wir in unserer Führung auf langfristige Werte setzen, die sowohl die Umwelt als auch das Wohl unserer Mitarbeitenden und der Gemeinschaft berücksichtigen. Das gilt auch für unsere Produzierenden. Beispielsweise arbeiten wir mit einer grossen Mehrheit von GOTS*-zertifizierten Firmen zusammen, welche auch hohe Standards in Bezug auf Soziales erfüllen müssen.

Sie leben Nachhaltigkeit in Ihren Produkten. Wie setzen Sie Nachhaltigkeit im Büroalltag um? Etwa hinsichtlich Papierverbrauch, Strom, Mobilität der Mitarbeitenden oder Lohngleichheit?
Nachhaltigkeit ist ein integraler Bestandteil unseres Büroalltags. Wir minimieren unseren Papierverbrauch und setzen auf baumfreies Papier. Secondhand- Geräte, Mülltrennung bis ins kleinste Detail und die Nutzung eines Elektroautos für Dienstfahrten sind bei uns Standard. Zudem fördern wir die Nutzung öffentlicher Verkehrsmittel bei Geschäftsreisen, um unseren ökologischen Fussabdruck so gering wie möglich zu halten. In Bezug auf Lohngleichheit haben wir ein Lohnsystem, mit welchem wir alle Löhne berechnen, und haben dies auch den Mitarbeitenden gezeigt und erklärt.

Wo gibt es noch Verbesserungspotenzial?
Trotz unseres Engagements für Nachhaltigkeit gibt es Bereiche, in denen wir uns verbessern können. Besonders die Energieeffizienz unseres historischen Firmengebäudes in der Wisa Gloria in Lenzburg stellt uns vor Herausforderungen. Hier sind wir limitiert. Ein weiterer Wunsch wäre die Einrichtung einer internen Kinderbetreuung, um Eltern noch besser unterstützen zu können, was aufgrund unserer Unternehmensgrösse derzeit jedoch nicht realisierbar ist. Zudem ist es für uns auch schwierig, kompetitive Löhne wie grössere Firmen zu bezahlen. In diesem Bereich könnten wir uns noch verbessern.

Steht der Kauf von Kleidung nicht im Widerspruch zu nachhaltigem Lifestyle?
Der Konsum von Kleidung per se ist tatsächlich paradox, wenn man Nachhaltigkeit betrachtet. Das Ideal wäre, ganz auf den Kauf neuer Kleidung zu verzichten. Doch als nachhaltige Marke möchten wir eine Alternative bieten und setzen uns dafür ein, die Modeindustrie zu verändern. Indem wir nachhaltige Produkte anbieten, wollen wir einen Anstoss geben, über Konsumverhalten nachzudenken, und gleichzeitig durch unsere Arbeit in nachhaltige Innovationen investieren. Hier muss man aber ständig die Balance zwischen «Kommerziellem» und «Nachhaltigkeit » finden. Wir müssen verkaufen, um Löhne zu zahlen, doch wollen auch nicht unnötigen Konsum fördern.

Was bedeutet Ihnen Nachhaltigkeit privat?
Nachhaltigkeit ist für mich ein persönliches Anliegen, das sich in meinem Alltag in verschiedenen Aspekten widerspiegelt. Obwohl ich nicht in allen Bereichen perfekt nachhaltig bin und mich z.B. auch nicht vegan ernähre, treffe ich bewusste Entscheidungen. Ich konsumiere nur wenig Fleisch, recycle alles bis hin zu Plastik, kompensiere Flüge – wenn ich mal fliege – oder verzichte auf ein eigenes Auto. Gleichzeitig erkenne ich an, dass nicht jede Handlung perfekt nachhaltig sein kann, wie beispielsweise die Reisen nach Brasilien, wo die Familie meiner Frau herkommt.

Wie fördern Sie die Selbstverantwortung Ihrer Mitarbeitenden?
Indem wir bereits ab dem ersten Tag viel Verantwortung übertragen und ein starkes Vertrauen in die Fähigkeiten jeder einzelnen Person setzen. Wir glauben daran, dass Vertrauen nicht erst verdient werden muss, sondern eine Grundvoraussetzung für kreative und selbstständige Arbeit ist. Darum denke ich z.B., dass Praktikantinnen und Praktikanten bei uns, sofern sie dazu bereit sind, sehr viel mehr lernen als bei vielen anderen Firmen. «Einen Kaffee für den Chef holen» gibt und gab es bei uns noch nie.

Wie werden Mitarbeitende in Entscheidungsprozesse einbezogen?
Wir legen grossen Wert auf kollaborative Entscheidungsfindung. Durch regelmässige Brainstorming- und Austauschmeetings fördern wir den Dialog und stellen sicher, dass die Ideen und Feedbacks aller, von Praktikantinnen und Praktikanten bis zu Führungskräften, gehört und geschätzt werden.

Und wie gelingt der Spagat zwischen maximaler Beteiligung aller und klaren Entscheidungen innert nützlicher Frist?
Dies ist eine ständige Herausforderung. Mit der Zeit habe ich gelernt, schneller Entscheidungen zu treffen, um den Fortschritt zu beschleunigen, ohne dabei die Einbindung des Teams zu vernachlässigen. Es ist ein Balanceakt, der sowohl Raum für Beteiligung als auch für Effizienz schafft. Aber um ganz ehrlich zu sein, die genau richtige Balance habe ich bis heute noch nicht gefunden.

Wie unterstützen Sie die persönliche und berufliche Entwicklung Ihrer Mitarbeitenden?
Ich sehe es als meine Aufgabe, Unterstützung in Bereichen anzubieten, in denen ich direkt helfen kann. Sei es durch das Teilen von CV-Tipps, Unterstützung beim Aufbau einer LinkedIn-Präsenz oder durch das Anbieten von Business-Tipps für nebenberufliche Projekte. Ich bin stets bemüht, wertvolle Kontakte herzustellen und mein Netzwerk für die berufliche Entwicklung meiner Mitarbeitenden zu öffnen. Beispielsweise konnte ich schon indirekt Aufträge für einen Video Content Creator vermitteln oder gab Tipps und Tricks zu Onlinemarketing für das Nebenprojekt eines Mitarbeiters.

Dies ist eine gekürzte Fassung des Interviews. Lesen Sie das ganze Gespräch in der aktuellen Printausgabe.

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