Experten-Interviews

November 2024

Quereinsteiger*innen: «Typische Quereinsteiger*innen gibt es nicht»

Über Arbeitnehmende, die nicht «vom Fach» sind, kursieren viele Meinungen — und auch diverse Vorurteile. Sie benötigen mehr Zeit bei der Einarbeitung, ihnen fehlt das Grundwissen über die Branche, dafür begegnen sie Problemen ohne Tunnelblick und sind überdurchschnittlich motiviert. Wir haben Marija Vidakovic, Lead Recruiting Bahnberufe & Zweitausbildungen bei der SBB, mit diesen Behauptungen konfrontiert. Im Titelinterview spricht sie über das Standing von Talenten, die via Quereinstieg zu den Bundesbahnen gekommen sind. Welche Vor- und Nachteile diese mit sich bringen und warum Persönlichkeit und Lernbereitschaft viel wichtiger als «Papiere» sind, erfahren Sie im Interview.

Von: Dave Husi   Teilen  

Dave Husi

Dave Husi ist Chefredaktor von personalSCHWEIZ.
Zuvor hat er bei einem Medien-Startup Gründerluft geschnuppert und war bei einem Fachverlag im Medizinbereich journalistisch tätig.

Quereinsteiger*innen

Marija Vidakovic (40) leitet bei der SBB das Team «Recruiting Bahnberufe & Zweitausbildungen»

Frau Vidakovic, die SBB spricht auf ihrer Karriereseite gezielt Quereinsteiger*innen an. Warum hat Ihr Arbeitgeber ein Herz für Quereinsteiger*innen?
Die SBB schätzt die Vielfalt der Erfahrungen und Perspektiven, die Quereinsteiger*innen mitbringen. Oft haben diese bereits in anderen Bereichen wertvolle Erfahrungen gesammelt, die sie bei uns erfolgreich einbringen können. Ein breites Spektrum an beruflichen Hintergründen bereichert unser Unternehmen und fördert die Diversität. Mit unserer inklusiven Arbeitskultur setzen wir uns für Chancengleichheit ein.

Wir bilden Quereinsteiger*innen gezielt aus, um ihnen den Einstieg zu erleichtern. Wir bieten z.B. ein Back-to-Business-Programm an, in dem wir gezielt Menschen ansprechen, die nach einer längeren Auszeit wieder ins Berufsleben einsteigen wollen. Der Grossteil unserer Quereinsteiger*innen sind Menschen, die bei uns eine Zweitausbildung in einem abwechslungsreichen Bahnberuf starten. Hier sprechen wir von Berufen wie Lokführer*innen, Kundenbegleiter*innen, Kundenberater*innen, Spezialist*innen Einsatzplanung und Zugverkehrsleiter*innen.

Alle diese bahnspezifischen Berufe bilden wir intern aus. Dafür stehen den Bewerber*innen zahlreiche Möglichkeiten einer bezahlten Zweitausbildung offen. Wir sprechen Menschen an, die einen beruflichen Neuanfang suchen, unabhängig davon, aus welcher Branche sie kommen.

Sie haben in Ihrem Arbeitsalltag viel mit Quereinsteiger*innen zu tun. Waren Sie selbst auch schon einmal in dieser Position?
Vor etwa 15 Jahren wagte ich den Einstieg in die Personalvermittlung – ohne Erfahrung im HR oder in der Rekrutierung. Ich hatte zuvor keinerlei Berührungspunkte mit der Rekrutierung. Ich arbeitete als Personalberaterin für Firmen im technischen Bereich, hatte aber nur wenig Ahnung von Technik. Diese Herausforderung anzunehmen, stellte sich als die richtige Entscheidung heraus: Sie entfachte meine Begeisterung fürs Recruiting und zeigte mir, wie viel Freude es mir bereitet, mit Menschen zu arbeiten. Es war der perfekte Start, Talente und Unternehmen zusammenzubringen!

Welche Erfahrungen haben Sie dabei gemacht?
Wie jeder Neuanfang war auch dieser spannend und ungewohnt. In der Personalvermittlung habe ich wertvolle Erfahrungen gesammelt, die mich dorthin gebracht haben, wo ich heute bin. Diese Reise hat mir gezeigt, dass Begeisterung, Leidenschaft und Offenheit oft wichtiger sind als Erfahrung und tiefe Fachkompetenzen. Diese habe ich on the Job erlernt.

Quereinsteiger*innen benötigen im Vergleich zu ausgebildeten Personen eine engere Betreuung bei der Einarbeitung resp. beim Training on the Job. Warum nimmt die SBB diesen zusätzlichen Aufwand trotzdem auf sich?
Wie viele andere Unternehmen ist auch die SBB von der Pensionierungswelle der Babyboomer-Generation betroffen. In den nächsten Jahren werden Tausende Mitarbeitende pensioniert. Dies auch in den Bahnberufen, die sonst nirgends erlernt werden können, für unsere Leistungserbringung aber von zentraler Notwendigkeit sind. Durch den Einbezug von Quereinsteiger*innen erweitern wir hier den Kreis potenzieller Bewerber*innen. Wir haben festgestellt, dass Quereinsteigende eine spezifisch auf ihre Bedürfnisse abgestimmte Betreuung benötigen – nicht primär eine engere. Quereinsteigende verfügen oft über eine sehr hohe intrinsische Motivation und Begeisterungsfähigkeit, da sie sich ihren Wechsel sehr gut überlegt haben. Die Ansprache von Quereinsteigenden ist für uns schlicht alternativlos.

Welche Vorteile haben Quereinsteiger*innen im Vergleich zu Mitarbeitenden «vom Fach»?
Quereinsteiger*innen bringen wertvolle Erfahrungen aus unterschiedlichsten Lebensbereichen mit, die die SBB bereichern. Wir schaffen für sie ein Umfeld, in dem sie sich bestmöglich entfalten und langfristig weiterentwickeln können. Zudem erleben wir heute mehr Menschen, die sich auch beruflich noch einmal «neu erfinden» möchten. Ihnen können wir mit diesen Berufen eine Perspektive bieten.

Wo sehen Sie die grösste Herausforderung bei der Einarbeitung von fachfremden Talenten?
Vereinzelt kommt es vor, dass sich fachfremde Talente den konkreten Berufsalltag anders vorgestellt haben oder dass ihnen die Umstellung auf Schicht- und Tourenarbeit nicht so einfach fällt, wie sie gedacht haben. Deshalb zeigen wir Interessierten den Berufsalltag im Vorfeld auf – mit Einblicken vor Ort oder auf einer Begleittour. Neu probieren wir auch erste virtuelle Besichtigungstouren aus.

Können Sie den Lernprozess resp. das Training on the Job am Beispiel «Lokführer*in» beschreiben?
Jährlich starten mehrere Ausbildungsklassen in der ganzen Schweiz. Die Ausbildung dauert 14 bis 16 Monate und ist eine Kombination aus Praxis und Theorie. Die Module beinhalten unterschiedliche Schwerpunkte, von Zugvorbereitung bis zu Extremsituationen. Die theoretischen Module werden in der Klasse behandelt, die Praxis lernen die Anwärter*innen im Führerstand auf dem Streckennetz. Während der gesamten Ausbildung werden die Quereinsteiger*innen von unseren Expert*innen und Ausbildner*innen begleitet und fit für die Abschlussprüfung gemacht.

Ab 2025 bieten wir die Ausbildung auch im Teilzeitpensum an – für eine bessere Vereinbarkeit von Beruf und Freizeit. Auch nach dem Abschluss bieten wir flexible Teilzeitmodelle an.

Welchen beruflichen Background bringen Quereinsteigende üblicherweise mit? Gibt es die typische/den typischen Quereinsteiger*in?
Typische Quereinsteiger*innen gibt es zum Glück nicht – Quereinsteiger*innen kommen von überall. Die Hintergründe und Motivationen sind so bunt wie die Menschen selbst. Sie kommen aus den unterschiedlichsten Altersgruppen und Lebenslagen. Die Entscheidung für einen Quereinstieg können ganz unterschiedliche Motive sein: Neugier auf neue Herausforderungen, berufliche Neuorientierung, Verwirklichung persönlicher Interessen, Veränderung der eigenen Prioritäten, bessere Zukunftsaussichten, Work-Life-Balance etc.

Stimmt es, dass Mitarbeitende, die via Quereinstieg ins Unternehmen gekommen sind, eine überdurchschnittliche Motivation mitbringen?
Quereinsteiger*innen bringen oft eine hohe Motivation mit, weil sie bewusst den Schritt in ein neues Berufsprofil wagen und sich hier einbringen wollen. Sie sind lernbereit und engagiert, um sich in ihrer neuen Rolle zu beweisen.

Doch auch Fachleute sind motiviert! Wir haben bei der SBB das grosse Glück, dass unsere Mitarbeitenden generell eine grosse Leidenschaft für unser Unternehmen mitbringen und der Stolz auf eine gute Leistung für unsere Kundinnen und Kunden sie antreibt.

ZUR PERSON

Marija Vidakovic (40) leitet bei der SBB das Team «Recruiting Bahnberufe & Zweitausbildungen» innerhalb des HRBereichs Sourcing, Recruiting & Talents (HR-SRT). Dieses Team ist eines von mehreren Teams bei HR-SRT, das auf das Recruiting bestimmter Berufsgruppen spezialisiert ist. Marija verfügt über langjährige Erfahrung im Recruiting sowie in der Führung – sowohl aus der Personalvermittlung wie auch innerhalb der SBB. Geboren in Kroatien und als Kind in die Schweiz gekommen, verbindet sie die kulturellen Einflüsse beider Länder. In ihrer Freizeit verbringt sie gerne Zeit mit Freunden und Familie und erkundet neue Orte. Ob bei einem gemütlichen Essen oder einem spontanen Ausflug – Marija schätzt neue Eindrücke und interessante Gespräche.

Dies ist eine gekürzte Fassung des Interviews. Lesen Sie das ganze Gespräch in der aktuellen Printausgabe.

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