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Experten-Interviews
New Work & Arbeitswelt der Zukunft: «Die Personalarbeit wird in Zukunft noch wichtiger»
Herr Thomsen, Sie sind Trend- und Zukunftsforscher. Wie sind Sie zu diesem Beruf gekommen?
Das fing schon ganz früh bei meinen Brüdern und mir an: Unsere Mutter war Kindergärtnerin, die uns immer ermutigte, unsere Kreativität, Neugier und Fantasie einzusetzen, um die Welt und unsere Zukunft so zu gestalten, wie wir sie uns wünschten. Mein Vater hingegen war Ingenieur, der uns immer sagte, dass Ideen zu haben nur der erste Schritt sei. Und so schauten wir dann gemeinsam, ob diese Ideen mit den Gesetzen von Physik, Logik und Ökonomie tatsächlich auch umsetzbar wären. Als ich später Betriebswirtschaftslehre studierte, fiel mir auf, dass angehende Managerinnen und Manager kaum Werkzeuge und Methoden lernten, um zukünftige Entwicklungen und Umbrüche in Technologien und Industrien zu berechnen und zu planen. Man lernte praktisch nur, die Gegenwart möglichst gut zu beschreiben. Das passte nicht zu dem, was ich schon als Kind gelernt hatte. Schon während des Studiums beschäftigte ich mich aus Eigeninteresse mit Methoden der Zukunftsforschung und gründete mit 22 Jahren meine erste Firma in diesem Bereich. Damals klang das sehr exotisch, und mein Vater war zunächst schockiert und meinte, ich solle lieber etwas Vernünftiges machen. Aber er war auch in Teilen mit «schuld daran».
Wie gehen Sie bei Ihrer Arbeit vor oder, anders gefragt, wie kommen Sie zu Ihren Zukunftsprognosen?
Wir analysieren vornehmlich technologische Entwicklungen und Innovationen sowie deren systemische Wechselbeziehungen. Hört sich kompliziert an, ist es aber gar nicht: Neue Technologien verändern die Welt nicht über Nacht, aber langfristig meist sehr nachhaltig. Oft ist eine neue Technologie am Anfang ihrer Entwicklung sogar teurer und schlechter als die bestehende Technik. Doch während ausgereifte Technik kaum mehr signifikante Fortschritte machen kann, ist die Innovationsdynamik im neuen Feld wesentlich höher. Jeder von uns hat solche Umbrüche und Ablösungen in der Vergangenheit miterlebt. Ein Beispiel: Es gab Zeiten, da waren Schreibmaschinen wesentlich praktikabler als die ersten Computer. Hätten wir damals schon gearbeitet, wäre es unsere Aufgabe gewesen, den Zeitpunkt zu berechnen, an dem ein PC in Verbindung mit einem Drucker ökonomisch sinnvoller wird als die Anschaffung einer neuen Schreibmaschine. Dafür analysieren wir zahlreiche Trends, Einflussfaktoren und deren Dynamik und berechnen den Zeitpunkt, an dem der Systemwechsel ökonomisch und logisch zu erwarten ist.
Sie haben eine Methodik zur Bestimmung von Systembruchmomenten, den sog. «Tipping Points», entwickelt. Was hat es damit auf sich?
Oft hört man heute den Begriff von disruptiven Entwicklungen. Ein Tipping Point nach unserer Definition bezeichnet den Zeitpunkt, an dem ein Trend seine höchste Wachstumsdynamik erreicht und ein Systemwechsel einsetzt. Es ist, wie wenn man Popcorn in einer Pfanne mit etwas Öl erhitzt: Eine ganze Weile lang passiert gar nichts, bis auf den Trend, dass das Öl immer heisser wird. Bei ca. 180° Celsius Öltemperatur poppt das erste Maiskorn, da die Hitze das Wasser um den Keim herum verdampft hat und der Druck so gross wurde, dass es quasi explodierte. Auch wenn es einige Zeit bis zu diesem Punkt brauchte, poppen die anderen Maiskörner ab jetzt in kurzer Abfolge. Das ist in diesem System der Tipping Point. Dieser ist allerdings weder Zufall noch unvorhersehbar. Jeder, der das System naturwissenschaftlich analysiert, kann die Logik beschreiben. Tipping Points sind aber nicht nur bei Popcorn zu beobachten, sondern auch in unserer Arbeitswelt, in der Mobilität, Logistik, Energie, Nahrungsmittelproduktion und vielen anderen Bereichen unseres Lebens.
Wie gelangen Sie an Ihre Daten?
Unsere wichtigste Informationsquelle stellen diejenigen Experten dar, die tatsächlich an der Zukunft arbeiten: Wir sprechen jedes Jahr mit Hunderten von Wissenschaftlern, Experten, Unternehmensgründern und Vordenkern. Wir sind immer wieder überrascht, wie offen und happy die Menschen sind, wenn wir mit ihnen über ihre Ideen zur Zukunft sprechen wollen. Uns geht es nicht darum, ihnen Geheimnisse zu entlocken, sondern das grosse Bild besser zu verstehen. Daneben verbringen wir viel Zeit mit Lesen, Recherchieren und Rechnen. Ca. 60% unserer Arbeitszeit bestehen aus «Weiterbildung», also der Beschäftigung mit Dingen, die wir zuvor noch nicht kannten oder konnten.
Wie entwickelt sich die Arbeit in Zukunft?
Der Begriff «Arbeit» hat sich über die letzten Jahrhunderte und Epochen bereits stark verändert: Dies geschah jeweils aufgrund von technischen Innovationen und Durchbrüchen, welche Teile der bisherigen Arbeit von Menschen und Tieren durch Maschinen veränderten, erleichterten oder gar ersetzten. Digitalisierung, Robotik und künstliche Intelligenz bilden dabei die wichtigsten Megatrends, welche die Arbeit von Menschen in den 2020er- und 2030er-Jahren stark verändern werden. Wie auch in den Epochen zuvor entwickelten Menschen und die Ökonomie neue Werkzeuge und Technologien, die ihre Arbeit vereinfachten bei insgesamt höherer Produktivität. Bei den technologischen Durchbruchsinnovationen führt dies immer wieder zu massivem Strukturwandel in Arbeit, Bildung, Wirtschaft und Gesellschaft. Wir sind derzeit dabei, einmal mehr neu zu definieren, was wir unter dem Begriff «Arbeit» verstehen, welche Bildung, Qualifikation, Arbeitsinhalte und Organisation wir damit verbinden. Dabei spielt auch die Geschwindigkeit des Wandels und der Taktrate der Innovation eine entscheidende Rolle, da wirtschaftliche und gesellschaftliche Veränderungen in der Regel langsamer laufen als Technologien und neue Ökonomien.
Wie hoch ist der Einfluss der Digitalisierung auf die Arbeitswelt?
Der Begriff der «Digitalisierung» ist wohl nicht mehr ganz der richtige Begriff, um die Veränderungen in der Arbeitswelt der 2020er-Jahre auszudrücken. Digitale Systeme haben wir bereits, aber nun kommt der nächste Schritt: Mittels «künstlicher Intelligenz» (KI) wandeln sich Computer von leistungsstarken, aber «dummen» Rechenmaschinen zu lernenden und mitdenkenden Assistenten. Das entscheidend neue Element bei KI für Computer besteht in der Fähigkeit, nun Muster und Zusammenhänge zu erkennen und zu lernen. Die Auswirkungen dieses Umbruchs erscheinen den meisten Menschen heute noch sehr utopisch. Wir gehen jedoch davon aus, dass praktisch jeder Mensch in weniger als 300 Wochen einen persönlichen digitalen Assistenten haben wird, welcher ein integraler Teil des Lebens und der Arbeit der meisten Menschen wird. Und wie ein menschlicher Assistent heute wird dieser täglich viele Aufgaben und Routinen übernehmen können, was uns automatisch produktiver macht. Dieser digitale Assistent wird uns beispielsweise auf wichtige Dinge hinweisen, für uns vorausdenken, planen und organisieren sowie uns mit wertvollen Tipps und Informationen versorgen. Und jeden Tag wird er darin besser werden – und somit wertvoller für uns und unsere Arbeit. Wir rechnen mit einem signifikanten Anstieg der Produktivität für Menschen und Unternehmen.
Die Corona-Pandemie kam gefühlt aus dem Nichts und hat die ganze Welt auf den Kopf gestellt. Kann man so ein Ereignis voraussehen? Gab es Anzeichen dafür?
Die Gefahr und Wahrscheinlichkeit einer globalen Pandemie und deren Ausbreitungsdynamik in einer global-mobilen Gesellschaft waren ja seit Langem bekannt und in Form von diversen Notfall-Szenerien beschrieben. Nicht bekannt waren Zeitpunkt, Entstehungsort, Art und Wirkung des Virus. Damit zeigt sich, wie wichtig «Denken auf Vorrat», also die frühzeitige Erstellung von Szenarien und Plänen, ist, bevor das Szenario eintritt. Einschneidende Ereignisse wirken dann aber auch als Katalysatoren für neue Konzepte und die Nutzung von Innovationen in Arbeit und Gesellschaft, wie wir es jetzt häufig selbst erleben konnten.
Welche Rolle werden Roboter in Zukunft spielen?
Robotik wird in den 2020er-Jahren die Produktionshallen verlassen und in immer mehr Bereiche unseres Lebens und der Arbeit vordringen. Wir sprechen in diesem Zusammenhang von Service-Robotik, die in menschlichen Umfeldern wie z.B. im Bereich Pflege, Sicherheit, Logistik, Mobilität und Haushalt stattfindet. Interessant ist immer der Tipping Point, an dem eine entsprechende Maschine eine Aufgabe günstiger und besser machen kann als ein Mensch. Nicht alles kommt auf einen Schlag, aber es erscheint sehr wahrscheinlich, dass Sie noch vor dem Jahr 2025 das erste Mal ein Paket von einem Roboter geliefert bekommen. Bis Ende der 2020er-Jahre werden multifunktionale Haushaltsroboter weniger kosten und mehr Nutzen bringen als eine menschliche Haushaltshilfe, und auch im Alltag vieler Unternehmen und Branchen wird Robotik eingesetzt werden. Gleichzeitig entsteht hier eine ganz neue Branche und Industrie, die in zehn Jahren die Grösse der heutigen Automobilwirtschaft übersteigen könnte – mit vielen neuen Berufen, Jobs und Chancen.
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