Experten-Interviews

Oktober 2023

New Work, Arbeitsplatzkultur und neues Führungsverständnis: «Hierarchie ist nicht per se schlecht»

New Work ist das Zauberwort der modernen Arbeitswelt. Hinter dem Containerbegriff verbergen sich Vorstellungen von Autonomie, inspirierender Arbeit, Wertschätzung und vielem mehr. Was das Konzept mit Arbeitsplatzkultur und Führungsverständnis zu tun hat, haben wir die New-Work-Expertin Nicole Kopp gefragt. Im Titelinterview spricht die Gründerin von GoBeyond über Selbstverantwortung, mutige Experimente und Spass bei der Arbeit.

Von: Dave Husi   Teilen  

Dave Husi

Dave Husi ist Chefredaktor von personalSCHWEIZ.
Zuvor hat er bei einem Medien-Startup Gründerluft geschnuppert und war bei einem Fachverlag im Medizinbereich journalistisch tätig.

New Work, Arbeitsplatzkultur und neues Führungsverständnis

Frau Kopp, wie sind Sie zur New-Work-Expertin geworden?
Mich faszinieren Menschen, und wie sie zusammenarbeiten. Deshalb habe ich ein Masterstudium in Arbeits- und Organisationspsychologie gemacht. Später habe ich noch das CAS in agiler Organisation an der FHNW absolviert. Dazu habe ich in den letzten Jahren sehr viele Bücher gelesen und durfte viele New-Work-Themen in der Arbeit mit Kund*innen umsetzen.

Welcher Aspekt dieses Themas fasziniert Sie besonders?
Ich finde es sehr spannend, zu sehen, wie sich die Arbeitskultur und Zusammenarbeit im Unternehmen verändern können und welche positiven Auswirkungen dies auf die tägliche Arbeitsrealität der Menschen hat. Davon zeugen Aussagen von unseren Kund*innen. «Man hat das Gefühl, wirklich wichtig für das Unternehmen zu sein», sagte mir eine Kundin nach einem Ritual im Rahmen der Zielvereinbarungsmethode Objectives & Key Results oder «Es gibt doch nichts Geileres, als selbst Ziele setzen zu können».

New Work ist ein Sammelbegriff für alles Mögliche – was verstehen Sie darunter?
Der Begriff ist tatsächlich ein Container-Begriff: Jede*r wirft in den Container rein und holt sich heraus, was ihm oder ihr gerade passt. Ich halte mich gerne an die Definition von Joana Breidenbach und Bettina Rollow: «New Work ist die Transformation der Arbeitswelt, die den Mitarbeiter und seine Fähigkeiten ins Zentrum stellt, in der Hierarchien verflacht oder sogar ganz abgeschafft werden und von gemeinsamer Führung oder Selbstorganisation abgelöst werden.»

«Agilität» wird oft im gleichen Atemzug mit New Work genannt – gehören die beiden Konzepte zusammen?
Die beiden Konzepte sind verwandt, haben aber unterschiedliche Ursprünge und Ausrichtungen. Bei der Agilität geht es um die Fähigkeit, iterativ auf Veränderungen und Komplexität zu reagieren. Das agile Manifest mit seinen vier Prinzipien und zwölf Werten sowie die verschiedenen agilen Methoden geben sehr klare Leitlinien vor. New Work ist ganzheitlicher, doch es fehlen verbindliche Werte und Prinzipien. Agilität kann New Work untergeordnet werden, da agile Methoden dazu beitragen können, ein New-Work-Umfeld zu schaffen.

Mit welchen Fragestellungen kommen Ihre Klient*innen auf Sie zu?
Die Fragestellungen sind sehr vielfältig. Häufig geht es um Geschäftsergebnisse: Unternehmen kontaktieren uns, weil sie ihre Innovationskraft, Kundennähe oder Effizienz steigern wollen. Andere wenden sich an uns, weil sie ihr Arbeitsumfeld verbessern, einen Kulturwandel anstossen oder die Zusammenarbeit verbessern möchten. Wieder andere wollen ihre Führung oder Organisationsstruktur an die Anforderungen der neuen Arbeitswelt anpassen. Zudem gibt es Firmen, die uns für eine Transformation kontaktieren und Begleitung suchen. Allen Fragen gemeinsam ist, dass Veränderung stattfindet und Menschen dabei unterstützt werden sollen.

Flexibilität ist ein zentraler Aspekt von New Work. Wie wirkt sich dies auf die Zusammenarbeit in Organisationen aus?
Die vermehrte zeitliche und örtliche Flexibilität macht es schwierig, genau zu wissen, wer wann wo arbeitet. Dies lässt sich aber mithilfe von Tools einfach abbilden. Wichtig ist, dass Teammitglieder sich absprechen, wofür sie gemeinsam im Büro sind, z. B. für Workshops, Team-Meetings oder kritische Gespräche. Ein zweiter Effekt: Flexibilität führt automatisch zu mehr schriftlicher Kommunikation wie E-Mails und Chat-Nachrichten. Schriftliche Kommunikation ist anfälliger für Missverständnisse, weil nonverbale und paraverbale Signale wegfallen. Studien zeigen, dass E-Mails, die in einem positiven Ton geschrieben sind, vom Empfänger neutral wahrgenommen werden. Wenn E-Mails neutral geschrieben sind, wird der Ton vom Empfänger als negativ empfunden. Eine gute schriftliche Kommunikation, einschliesslich der Fähigkeit, präzise zu formulieren, ist daher äusserst wichtig, insbesondere für Führungskräfte.

Als letzten Effekt möchte ich die Bedeutung der Emotionen hervorheben: Wenn Menschen im Homeoffice oder an Drittorten arbeiten, ist es oft schwierig zu erkennen, wie es ihnen wirklich geht. Bei Online- oder Hybrid-Meetings ist man oft sehr auf den Inhalt fokussiert. Jemand kann sehr traurig sein, ohne dass es die anderen merken. Es hat sich daher bewährt, durch geeignete Moderationsmethoden, wie z. B. ein Check-in, den Austausch und die Verbundenheit zu stärken.

Homeoffice- resp. Hybridarbeit schafft physische Distanz. Welche Kommunikationstipps geben Sie Organisationen mit auf den Weg?
Kommunikation war schon immer ein grosses Thema, aber durch die Vielzahl an digitalen Kommunikationskanälen hat es sich verschärft. Häufig gibt es in Unternehmen sehr viele verschiedene Kommunikationstools – bis zu 40! Ganz wichtig ist es, dass Organisationen – oder auch einzelne Teams – klar festhalten, wie die verschiedenen Kommunikationskanäle genutzt werden. Meiner Erfahrung nach passiert das höchst selten. Gerade wenn Menschen nicht im Büro arbeiten, müssen sie voneinander wissen, wie schnell sie eine Antwort auf eine E-Mail oder eine Teams-Nachricht erwarten können. In einem Workshop, den ich zu diesem Thema für die Swisscom gegeben habe, lag die erwartete Antwortzeit auf eine E-Mail zwischen zwei Stunden und zwei Tagen. Eine gewaltige Spannbreite.

New Work verbindet man auch mit einer wertschätzenden Arbeitsplatzkultur. Was braucht es, damit sich Mitarbeitende am Arbeitsplatz wohlfühlen?
Jeder Mensch möchte sich gesehen, gehört und verstanden fühlen. Aber 58% der Angestellten hören nie ein «Danke» von ihrer Führungskraft. Das ist doch verrückt! Ich bin fest davon überzeugt, dass Menschen von sich aus motiviert sind, gute Arbeit zu leisten und mitgestalten zu wollen. Das gelingt am besten in einem Umfeld mit hoher psychologischer Sicherheit. Damit ist die Überzeugung gemeint, dass es in einem Team sicher ist, die eigenen Ideen, Meinungen, Kritiken und Bedenken zu äussern, ohne von anderen Teammitgliedern beschämt, zurückgewiesen oder anderweitig negativ sanktioniert zu werden. Eine hohe psychologische Sicherheit ist jedoch die Ausnahme und nicht die Regel. In den meisten Teams fühlen sich Menschen nicht sicher und trauen sich nicht zu sagen, was sie denken. Psychologische Sicherheit ist ein wesentliches Merkmal von Hochleistungsteams, und jede Führungskraft sollte sich dessen bewusst sein.

Mehr Eigenverantwortung und Selbstbestimmung der Mitarbeitenden lösen das hierarchische Führungsmodell langsam ab. Welche Rolle bleibt den Führungskräften?
Es gibt tatsächlich eine Verlagerung von Fremdführung zu mehr Selbstführung oder geteilter Führung. Führungskräfte sind nach wie vor wichtig: Sie behalten den Unternehmenserfolg im Blick und unterstützen bei der Zielsetzung und Compliance. Zudem fungieren sie als Coach und schaffen geeignete Rahmenbedingungen, damit sich die Mitarbeitenden auf ihre Arbeit konzentrieren können.

Wie holt man Mitarbeitende ab, die mit der neuen Verantwortung überfordert sind?
«Man kann nicht ‹auf einen Klapf› Selbstorganisation verlangen», sagte mir kürzlich eine Führungskraft des SRF, und ich stimme ihr zu. Führungskräfte sollen nicht von heute auf morgen verlangen: «Jetzt entscheidet ihr alles selbst.» Besser ist es, die Mitarbeitenden schrittweise an die Selbstverantwortung heranzuführen. In Coachings empfehle ich Führungskräften Folgendes: Wenn ein Mitarbeitender mit einer Frage zur Führungskraft kommt, fragt die Führungskraft nach, welche möglichen Handlungsmöglichkeiten sich die Person überlegt hat. Erst dann sollte die Führungskraft die Frage beantworten.

Sehr empfehlenswert ist es auch, dass Führungspersonen überforderte Mitarbeitende mit viel Einfühlungsvermögen fragen, was genau sie befürchten, wenn sie jetzt die Verantwortung für dieses konkrete Projekt oder diese Aufgabe übernehmen. Oft stellen sich Menschen vor, was alles schiefgehen könnte und wie viele Probleme dies mit sich bringen würde. Eine Führungskraft, die offen zuhört, kann dies relativieren. Immer schön ist es, erfolgreiche Selbstverantwortungshandlungen zu visualisieren, z. B. an einer Wand.

Für welche Organisationen empfehlen Sie das hierarchische Führungsmodell?
Hierarchisch organisiert zu sein, macht Sinn in einem Umfeld, in dem ein hohes Risiko besteht und in dem in Ausnahmesituationen schnell gehandelt werden muss: Wenn eine Turbine im Flugzeug ausfällt, wäre es fatal, wenn die Crew erst unter sich aushandeln müsste, wie es jetzt weitergehen soll. Da hilft es, zu wissen, dass die Pilotin resp. der Pilot ganz oben in der Hierarchie steht und sagt, was zu tun ist. Hierarchie ist nicht per se schlecht, aber sie führt oft zu Bürokratie und Verantwortungsdiffusion. Sehr wertvoll ist die Kompetenzhierarchie: Hier entscheidet die Person, die für das Thema am kompetentesten ist, unabhängig von ihrer hierarchischen Position.

Dies ist eine gekürzte Fassung des Interviews. Lesen Sie das ganze Gespräch in der aktuellen Printausgabe.

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