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Experten-Interviews
New Pay & Lohntransparenz: «Vergütung ganzheitlich betrachten»
Frau Maximilian, Lohn ist in der Schweiz immer noch ein grosses Tabuthema. Wie nehmen Sie dies in Deutschland und allgemein im EU-Raum wahr?
Früher wurde über Geld höchstens hinter vorgehaltener Hand gesprochen. Die Scheu vor dem Thema nimmt aber seit Jahren ab. Gehaltsdaten sind leichter verfügbar, und gesellschaftlich stellt sich ein anderes Bewusstsein ein, weshalb Mitarbeitende nun mehr Transparenz einfordern. Was das Thema Vergütung aber endgültig enttabuisieren dürfte, ist die neue Entgelttransparenz-Richtlinie der Europäischen Union. Unternehmen müssen bald klar darstellen, wie Gehaltsentscheidungen getroffen und wie Mitarbeitende ins Vergütungssystem eingeordnet werden. Eine proaktive und nachvollziehbare Kommunikation über Gehaltskriterien und -spannen ist dadurch unumgänglich. Zudem sind regelmässige Berichte zum Gender Pay Gap erforderlich, die über eine staatliche Monitoringstelle veröffentlicht werden. Diese Form der Transparenz nach innen und aussen macht Entgeltlücken sichtbar und treibt das Thema Fairness weiter voran.
LOHNTRANSPARENZ IN DER SCHWEIZ
Es gibt in der Schweiz keine gesetzliche Pflicht für Unternehmen, alle Löhne offenzulegen. Seit 2020 sind Arbeitgeber ab 100 Mitarbeitenden jedoch verpflichtet, alle vier Jahre eine Lohngleichheitsanalyse durchzuführen. Diese muss im Anschluss von einer unabhängigen Stelle überprüft werden.
Sie haben früher im «herkömmlichen» Compensation-&-Benefits-Bereich gearbeitet. Wie kamen Sie mit «New Pay» in Kontakt?
Als ich vor 15 Jahren als Vergütungsberaterin in Deutschland startete, ging es mehr um die Einzelfallbetrachtung, also konkrete Gehaltsempfehlungen für Topspezialisten beispielsweise. Die Vergütungsmodelle waren verstaubt, wenig konkret und liessen viel Verhandlungsspielraum zu. Gehaltsbudgets mit dem Giesskannenprinzip zu verteilen, wurde auch noch als schlanker Prozess verstanden. Mit dem Wandel der Arbeitswelt stossen traditionelle Vergütungsmodelle allerdings an ihre Grenzen. Das wurde mir erstmalig bewusst, als ich 2016 in ein schnell wachsendes Start-up wechselte und den Vergütungsprozess für 20 Länderorganisationen steuerte. Agile Strukturen, rasant steigende Gehälter sowie neuartige Führungsrollen waren einige der besonderen Hürden. Während meiner Ausbildung zum Agile People Coach erkannte ich zudem, dass Vergütung als klassisches Führungs- und Steuerungsinstrument der Transformation im Wege stehen kann. Auf der Suche nach Gleichgesinnten traf ich auf die Autor*innen des Buchs «New Pay». Gemeinsam entstand ein regelmässiger und intensiver Austausch darüber, wie Vergütung neu gedacht werden kann. Das führte schliesslich zur Gründung des New Pay Collective.
Was bedeutet «New Pay» für Sie?
New Pay stellt die Organisation mit ihrer individuellen Kultur und ihren Werten in den Mittelpunkt. Im Zentrum steht die Frage, welche Kriterien eine Organisation darin unterstützen, ihr Zukunftsbild zu gestalten. Es geht darum, den Wertbeitrag zu verstehen und zu benennen. Das ist der erste Schritt hin zu einem passenden Vergütungsmodell. Und dafür braucht es verschiedene Perspektiven aus der Organisation. Durch Partizipation schauen Organisationen noch tiefer auf ihre internen Strukturen, auf Zusammenarbeit, Entscheidungswege und Verantwortungsübernahme. Aus dieser Auseinandersetzung lassen sich Vorschläge ableiten, welches Vergütungsmodell sinnvoll ist und wie Gehaltsprozesse gestaltet werden können. New Pay ist also eher der Weg als das Modell an sich.
Warum sollten sich Unternehmen mit New Pay befassen?
Organisationen schildern sehr ähnliche Probleme und Bedenken, was die eigenen Vergütungsmodelle betrifft: Das Gehaltsgefüge ist schief, vor allem getrieben durch ständige Veränderungen und nach Transformationsphasen. Es fehlt an einer Orientierung und an einer klaren Rahmung für Gehaltsentscheidungen. Das macht die Kommunikation schwierig. Denn wer das Gehalt bisher zur Verhandlungssache erklärt hat, bei dem sind hohe Entgeltlücken zu erwarten. Gehaltstransparenz wirkt daher eher bedrohlich und wird nicht als Chance verstanden, sich gegenüber Mitarbeitenden und Kandidat*innen als fairer Arbeitgeber zu positionieren. Organisationen haben auch sehr ähnliche Zielvorstellungen: ein faires Vergütungsmodell, das Klarheit bringt und ständige Verhandlungen und Einzelfallentscheidungen minimiert. Das perfekte Modell, das an der richtigen Stelle ansetzt und die optimale Lösung verspricht, gibt es jedoch nicht. Meine Kunden unterscheiden sich wesentlich in ihrer Arbeitsweise, in ihren Strukturen und ihren kulturellen Werten. Dies gilt für sog. New-Work-Unternehmen genauso wie für herkömmlich geführte Unternehmen. Vergütungsmodelle, die diese Einzigartigkeit abbilden, lassen sich nicht einfach am Markt finden. Die Rahmung, was zukünftig be- und entlohnt werden soll, muss also aus der Organisation und für die Organisation entstehen. New Pay ist dafür der Gestaltungsansatz.
Lohndiskriminierung – Stichwort «Gender Pay Gap» – wurde zwar als Problem erkannt, aber es gibt noch viel zu tun. Inwiefern spielen Lohnfairness und Transparenz eine Rolle bei New Pay?
Fairness ist ein Gradmesser für individuelle gefühlte Gerechtigkeit. Fairness liegt also im Auge des Betrachters und wird dann wahrgenommen, wenn die Prinzipien der Gehaltsfindung bekannt sind und als angemessen, verlässlich und nachvollziehbar bewertet werden. Dafür braucht es ein gewisses Mass an Transparenz. Bei der Gender-Pay-Gap-Analyse sowie der Berichterstattung von Lohnlücken betreten viele Organisationen aktuell noch Neuland und scheuen eine offene Kommunikation. Um negative Folgewirkungen und Sanktionen zu umgehen, werden geschlechterspezifische Entgeltlücken grösstenteils im Ad-hoc-Verfahren geschlossen. Dadurch wird Lohndiskriminierung aber nicht nachhaltig vermieden. Die Folge: Entgeltlücken kehren wieder und müssen turnusmässig korrigiert werden. Organisationen sollten daher den gesamten Gehaltsprozess auf Fairness überprüfen und Regeln konsistent und diskriminierungsfrei anwenden. Ein Equal Pay Mindset und Prozesse, die auf Chancengleichheit aufbauen, sind hierfür entscheidend. Was Unternehmen bisher unterschätzen: Gehaltstransparenz bietet eine Chance, aus den erkannten Missständen ein Zukunftsbild zu formulieren, das authentisch vermittelt werden kann. Wer Mitarbeitenden aufzeigen kann, dass geschlechterspezifische Lohnlücken erkannt wurden und nun ein Prozess geschaffen wurde, diese auch nachhaltig zu vermeiden, hat sicherlich mehr für das gefühlte Gerechtigkeitsempfinden getan als Organisationen, die sich zu diesem Themen gänzlich ausschweigen.
Nachvollziehbarkeit des Vergütungssystems ist zentral für Lohngerechtigkeit. Wie ermöglicht man nachvollziehbare Gehälter?
Wenn ich mit HR-Teams eine Gehaltsrunde vorbereite, dann lege ich vorher ein Ziel fest: «Der Mitarbeitende soll am Ende des Gehaltsgesprächs zufrieden sein mit dem Gesamtprozess.» Dieses Zielbild impliziert, dass der Prozess verstanden und als fair empfunden wird. Für HR-Teams ist dies eine neue Betrachtungsweise, denn sie verbringen einen Grossteil ihrer Zeit damit, die Gehaltslisten für Führungskräfte zusammenzustellen und den Genehmigungsprozess zu unterstützen. Dabei blenden sie aus, dass am Ende ein wertvolles und anspruchsvolles Gespräch zwischen Führungskraft und Mitarbeitenden entstehen soll. Das ist leider häufig nicht der Fall, Unsicherheit und Misstrauen überwiegen oft. Vereinfachte Informationen zu Entgeltgruppen, Gehaltsspannen und Gehaltskriterien greifen erfahrungsgemäss zu kurz. Informationen müssen verstanden werden, um zu wirken. Wer die Perspektive des Mitarbeitenden als Ausgangspunkt nutzt, kann Führungskräfte besser vorbereiten und dadurch die Qualität der Erklärungen für Mitarbeitende verbessern. Um Gehaltskommunikation also nachvollziehbarer zu machen, sollte man sich den Fragen der Mitarbeitenden stellen: Wie blicken sie auf Gehaltsspannen, welche Entwicklungsmöglichkeiten sehen sie? Welche Einflussmöglichkeiten haben Mitarbeitende, ihr Gehalt zu erhöhen? Welcher Vergleichsgruppe sind die Mitarbeitenden zugeordnet, und warum? Fragen Sie doch mal direkt bei den Betroffenen nach und schauen Sie, welche zusätzlichen Informationen zum Verständnis beitragen.
NEW-PAY-MANIFEST – 7 LEITSÄTZE
- Ein faires Gehaltsgefüge ist wichtiger als Marktvergleiche.
- Partizipation der Beschäftigten ist wichtiger als Expert*innenwissen.
- Nachvollziehbarkeit ist wichtiger als Perfektion.
- Zukunftsfähigkeit ist wichtiger als Orientierung an vergangenen Erfolgen.
- Der ganzheitliche Blick ist wichtiger als attraktive Einzelmassnahmen.
- Das Erleben von Fairness ist wichtiger als die Erfüllung individueller Erwartungen.
- Die eigene, kulturadäquate Lösung ist wichtiger als Vergütungstrends.
(Quelle: New Pay Collective)
ZUR PERSON
Sarah Maximilian (41), verheiratet und Mutter von zwei Kindern, begleitet Organisationen in der Gestaltung von Vergütungssystemen und Organisationsstrukturen, die auf die Zukunftsfähigkeit der Unternehmen einzahlen. Mit ihrer Expertise zu New Pay, Pay Transparency & Equal Pay setzt sie in ihren Projekten sowie Workshops auf Gehaltstransparenz und Nachvollziehbarkeit als Basis einer effektiven Organisationsgestaltung und Gehaltskommunikation.
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