Experten-Interviews

Mai 2019

Gleichstellung und Diversität: «Quoten sind ein wichtiger Schritt, aber kein Allheilmittel»

Wir haben mit Prof. Dr. Gudrun Sander, Director for Diversity and Management Programmes der Universität St.Gallen, über Frauenquoten und über den Einfluss von Diversität auf die Leistung von Teams gesprochen.

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Gleichstellung und Diversität

Noch immer sind Frauen in Führungs­positionen stark untervertreten. Was sind die Gründe?
Das hat mehrere Gründe. Erstens: Obwohl Frauen im Bereich Bildung enorm aufgeholt haben und heute insgesamt mehr Frauen als Männer eine Matura machen oder ein Studium abschliessen, haben sie teilweise die «falschen» Ausbildungen. Wir haben in der Schweiz immer noch einen sehr stark segregierten Arbeitsmarkt mit typischen Frauenberufen und typischen Männerberufen, und das ist sehr persistent und ändert sich kaum. Zweitens arbeiten Frauen überdurchschnittlich häufig Teilzeit, was ihre Aufstiegschancen stark einschränkt. Bereits ein Pensum von 80 Prozent hat signifikant negative Einflüsse auf die Karriere, wie unsere Studien zeigen. Drittens sind Frauen dem sogenannten «Mutterschafts-Bias» ausgesetzt. Bereits bei der Beförderung von Nicht-Kadern auf die unterste Kaderstufe werden Frauen signifikant weniger berücksichtigt als Männer. Über alle Managementstufen hinweg sind lediglich 36 Prozent der Beförderten weiblich und 64 Prozent männlich. Das hat mit stereotypen Rollenerwartungen zu tun, welche die Beförderungsentscheide beeinflussen.

Können Sie ein Beispiel einer ­solchen stereotypen Rollenerwartung ­nennen?
Wenn eine Frau ein Kind bekommt, setzen Vorgesetzte automatisch ein Desinteresse der Frau an einer weiteren Karriere voraus. Gefragt wird sie aber meistens nicht. Wenn Frauen dann dezidiert ihr Interesse anmelden – was vielen Frauen immer noch schwerfällt –, dann wird das von den Vorgesetzten oft negativ interpretiert.

Wo steht die Schweiz beim Thema Diversität im internationalen Vergleich?
Im Global Gender Gap Report des WEF steht die Schweiz im Bereich der Gleichstellung zwischen Mann und Frau an 20. Stelle. Die nordischen Länder sind hier klar führend. Weltweit sind ca. 34 Prozent Frauen in Führungspositionen, hier hat die Schweiz noch Aufholbedarf. Laut neuestem Schilling-Report sind in den SMI-Konzernen zehn Prozent Frauen in den Geschäftsleitungen, im öffentlichen Sektor sind es 18 Prozent Frauen im Topkader. Dagegen ist es in der Schweiz sehr üblich, Ausländer in Geschäftsleitungen zu haben. Seit Jahren beträgt der Anteil der ausländischen Geschäftsleitungsmitglieder ca. 45 Prozent. Diese Art von Diversität ist also sehr «normal» in der Schweiz, die Geschlechterdiversität dagegen noch nicht.

«Seit Jahren beträgt der Anteil der ausländischen Geschäftsleitungsmitglieder ca. 45 Prozent. Diese Art von Diversität ist also sehr «normal» in der Schweiz, die Geschlechterdiversität dagegen noch nicht.»

Ist Diversität eigentlich auch ein ­Thema in wirtschaftsstarken, nicht westlichen Ländern wie China, ­Indien oder Brasilien? Oder beschäftigt das Thema nur die Gesell­schaften in westlichen Ländern?
Diversität und insbesondere die Geschlechtergleichstellung ist in allen Ländern ein Thema, jeweils mit historisch und kontextbezogenen speziellen Herausforderungen. So ist etwa die Geschlechterdiversität in China recht gut, aber in Bezug auf die kulturelle Diversität hat China noch grossen Aufholbedarf – also genau entgegengesetzt zur Schweiz.


Einige Studien kommen zum Ergebnis, dass sich Diversität positiv auf den wirtschaftlichen Erfolg von Unternehmen auswirkt, weil sie produktiver und innovativer sind. Andere sagen, sie habe überhaupt keinen Einfluss. Was stimmt denn nun?
Alle haben recht, denn es kommt sehr stark auf das jeweilige Unternehmen an, welche Produkte bzw. Dienstleistungen es herstellt, in welchen Märkten es sich bewegt, wie dynamisch oder stabil das Geschäft ist etc. Homogene Teams sind bei einfachen Problemen oder stark routinisierten Prozessen schneller und effektiver. Die Notfallstationen in Spitälern sind in den westlichen Ländern alle nach den gleichen Prinzipien aufgebaut. Diversität sollte hier also keine Rolle spielen. Heterogene Teams sind immer dann überlegen, wenn es um Innovationen geht. Die Diversität erhöht hier die Perspektivenvielfalt und führt häufig insgesamt zu besseren und ganzheitlicheren Lösungen. Chinesen im VR eines Schweiz-zentrierten KMU haben vermutlich keinen oder eventuell sogar einen negativen Effekt, weil die Kommunika­tion schwieriger wird. Wenn das KMU aber plant, Richtung China zu expandieren, kann es sehr sinnvoll sein, diese Perspektive zu integrieren. Mehr Diversität kann also positive, negative oder gar keine Effekte haben.

Sind neben dem Geschlecht andere Diversitätsfaktoren wichtiger für die Leistungsfähigkeit von Teams?
Ganz sicher. Es reicht nicht, nur 40-jährige Schweizer Frauen und Männer im Team zu haben. Unterschiedliche Altersgruppen, Sprachen, Nationalitäten und kulturelle Hintergründe, Ausbildungen und Erfahrungen sind ebenfalls wichtig. Zusätzlich zu diesen Diversitätsfaktoren sind besonders auch Diversitätsfaktoren zentral, die häufig erst in der Zusammenarbeit sichtbar werden. Wir sprechen im Fachjargon von «deep-level diversity». Dazu zählen z.B. Leistungs- oder Qualitätsanspruch, Einstellungen, Werte, Umgang mit Hierarchie bzw. Autorität, Genauigkeit etc. Wenn jemand neu ins Team rekrutiert werden soll, lohnt es sich daher, genau hinzuschauen, welche Form von Diversität für das Team wichtig ist und wo die Grenzen sind.

«Heterogene Teams sind immer dann überlegen, wenn es um Innovationen geht. Die Diversität erhöht hier die Perspektivenvielfalt und führt häufig insgesamt zu besseren und ganzheitlicheren Lösungen.»

Sind Sie für eine feste Frauenquote, wie sie die Revision des Aktienrechts vorsieht?
Ja und nein. Quoten bringen relativ schnell eine Veränderung, das ist positiv. Es gibt also in kurzer Zeit mehr Frauen in Führungspositionen. In Verwaltungsräten in der Schweiz ist eine solche Quote auch leicht zu erreichen, denn es hat genügend qualifizierte Frauen. Diese haben auch eine gewisse Vorbildwirkung für andere Frauen. In Ländern mit VR-Quoten sieht man aber auch gemischte Effekte: Z.B., dass an eine kleine Gruppe von Frauen viele VR-Mandate vergeben werden oder dass die Effekte auf die Zusammensetzung der Geschäftsleitungen und der nachfolgenden Hierarchien begrenzt sind. Das kann eine VR-Quote auch nicht wirklich lösen, dazu braucht es weitere Massnahmen wie eine gute Nachwuchsförderung von Frauen in den Unternehmen, flexiblere Arbeitsmodelle, neue Karrierewege etc. Um entsprechende Frauenanteile in den Geschäftsleitungen zu erreichen, braucht es genau solche umfassenden Massnahmen und nicht nur eine Quote. Aus der Forschung ist zudem bekannt, dass es mindestens ein Drittel einer Gruppe braucht, damit sich eine Kultur verändert. Wenn also punktuell einzelne Frauen in Männergremien aufgenommen werden, besteht die Gefahr, dass sie diese Gremien sehr rasch wieder verlassen, weil sie als «Einzelfälle» unter einer sehr genauen Beobachtung und unter einem überdurchschnittlichen Druck stehen. Quoten sind also ein wichtiger Schritt, aber kein Allheilmittel für Gleichstellung.

Welche gesetzlichen Massnahmen wünschen Sie sich?
Ich wünsche mir Rahmenbedingungen, die eine Gleichstellung von Frauen und Männern unterstützen. Das heisst erstens, dass die steuerlichen Fehlanreize in der Schweiz korrigiert werden, die in Kombination mit traditionellen Rollenvorstellungen vor allem Frauen vom Arbeitsmarkt fernhalten. Wir brauchen eine Individualbesteuerung. Zweitens wünsche ich mir ausreichende und bezahlbare Kinder­betreuungsangebote. Wir müssen als Gesellschaft entscheiden, wie viel es uns wert ist, Kinder zu haben und diese gut zu betreuen. Es kann nicht sein, dass diese Aufgabe weiterhin nur auf den Schultern der Mütter lastet, die später aufgrund der hohen Scheidungsrate und Schwierigkeiten beim Wiedereinstieg einen hohen Preis dafür zahlen. Und drittens wünsche ich mir einen ausgewogenen Eltern­urlaub, wo beide Elternteile einen Teil des Urlaubs beziehen müssen, damit er nicht verfällt. Dadurch wird es in den Unternehmen «normal», dass sowohl Männer als auch Frauen phasen­weise im Elternurlaub sind.

Welche Fehler begehen Unter­nehmen bei der Karriereförderung von Frauen?
Genau in dem Alter, in dem die Karriere langsam an Fahrt aufnimmt, reduzieren Frauen oft ihr Pensum, da sie eine Familie gründen. Und bereits mit einer Reduktion auf 80 oder 90 Prozent werden die Karrierechancen massiv kleiner, wie wir im Rahmen einer Studie für Advance Women zeigen konnten. Oder aber Frauen verlassen die Unternehmen bereits vor der Familienzeit, da im Betrieb weibliche Rollenvorbilder fehlen und sie keine Möglichkeiten sehen, in der Unternehmung Karriere zu machen. Hier braucht es eine Anpassung der Karrieremodelle. Es macht wenig Sinn, dass wir den Höhepunkt unserer Karriere zwischen 40 und 45 Jahren haben, wenn wir vermutlich bis 70 oder sogar länger arbeiten müssen. Wir brauchen also flexiblere Karrierewege, die Pensumsreduktionen erlauben, ohne gleich aufs Abstellgleis zu geraten. Gleichzeitig sollten Karrieren weniger mit Privilegien (z.B. Lohnerhöhung, Bonus, Eckbüro) verknüpft sein, sodass es einfacher möglich ist, aus einer Führungsposition wieder auszusteigen und in eine Expertise- oder Projektleitungsfunktion zu wechseln. Ein anderer wichtiger Punkt ist, dass viele Frauen dazu neigen, früh in Bereiche ohne Ergebnisverantwortung zu gehen wie Kommunikation, HR oder Marketing. Ergebnisverantwortung, also Profit-and-Loss-Verantwortung, ist aber ein wichtiger Faktor für die Karriere. Firmen sollten darauf achten, Frauen in Bereichen mit Ergebnisverantwortung zu halten oder sie dorthin zu befördern. Meine Empfehlung an Unternehmen bezüglich Karriereförderung von Frauen ist, insgesamt mehr Flexibilität bei den Arbeitsbedingungen zu bieten, Leistung statt Präsenz zu honorieren – damit fällt die Teilzeitstrafe weg –, Frauen Visibilität durch wichtige Projekte zu geben und sie in Positionen zu bringen, in denen sie Ergebnisverantwortung haben. Unterstützungsprogramme wie Mentoring und Sponsorship helfen in der Regel zusätzlich.

Warum arbeiten so viele Frauen in Bereichen ohne Ergebnisverantwortung?
Das hat viel mit Selbstselektion zu tun. Wenn ich keine Frauen in Positionen mit Ergebnisverantwortung sehe, nehme ich an, das ist nicht attraktiv für mich. Dabei geht oft vergessen, dass eine Führungsfunktion mit Ergebnisverantwortung auch einen höheren Gestaltungsspielraum bedeuten kann. Ich entscheide dann, wie divers ich mein Team zusammensetze. In einer solchen Rolle kann ich in einem Thema, das mir wichtig ist, durchaus viel bewirken.

Welche Massnahmen zur Frauenförderung schlagen Sie konkret vor?
Neben den oben genannten Empfehlungen ist es wichtig, dass die Leistungsbeurteilungen, die Potenzialbeurteilungen und die Beförderungsprozesse geschlechterneutral sind. Bei einer Teilnahme an unserem St. Gallen Diversity Benchmarking sehen Firmen rasch, ob sie gegenüber ihren Konkurrenten besser oder schlechter sind. Eine sorgfältige firmeninterne Analyse zeigt dann, ob Beurteilungs- und Beförderungsprozesse verzerrt sind und, falls ja, wie genau. Werden z.B. Teilzeitmitarbeitende signifikant schlechter beurteilt als Vollzeitmitarbeitende? Oder sind ­Frauen länger in den gleichen Funktionen als Männer? In einer Abteilung kann dies der Fall sein, in einer anderen Business Unit sind die Prozesse sehr fair. Um den Anteil von Frauen in Führungspositionen zu erhöhen, sollten sich Unternehmen zusammenfassend auf drei Bereiche konzentrieren: Erstens HR-Prozesse, insbesondere Beurteilungs- und Beförderungsprozesse, objektivieren. Zweitens (männliche) Führungskräfte für Wahrnehmungsverzerrungen (Unconscious Biases) in diesen Prozessen sensibilisieren. Drittens Frauen aktiv für die Übernahme von Führungspositionen gewinnen. Und: Frauenförderung ist Aufgabe des Top-Managements: Die oberste Führung muss sich zu klaren Zielen bekennen und KPIs definieren. Diese gilt es auch in der Incentivierung zu verankern, sonst sind sie zahnlos.

Dies ist eine gekürzte Fassung des Interviews. Lesen Sie im vollständigen Interview in der aktuellen Printausgabe, warum die Frauen vor einer einmaligen historischen Chance stehen.

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