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Experten-Interviews
Alterskündigung: Loyalität sollte belohnt werden
personalSCHWEIZ: Herr Humbert, weshalb ist das Thema Alterskündigung in den letzten Jahren in den Fokus der Öffentlichkeit gerückt?
Denis G. Humbert: Ich sehe hauptsächlich zwei Gründe. Zum ersten die demografische Entwicklung, denn die Jahrgänge 1955 bis 1969 der sogenannten Babyboomers werden immer älter. Das führt dazu, dass es heute bereits mehr 45-bis 64-Jährige gibt als unter 45-Jährige. Erst im Jahr 2030 wird der Anteil der unter 45-Jährigen voraussichtlich wieder grösser sein als jener der über 45-Jährigen. Der zweite Grund liegt meines Erachtens im gestiegenen Kostendruck der Unternehmen. Das kurzfristige Renditedenken hat zugenommen, und es ist leider eine Tatsache, dass ältere Mitarbeitende teurer sind als jüngere. Für über 50-jährige Mitarbeitende werden höhere Löhne und Sozialversicherungsabgaben – insbesondere Pensionskassenbeiträge – bezahlt. Aber auch der Ferienanspruch nimmt mit dem Alter zu: In dieser Altersgruppe finden wir häufig nicht nur die gesetzlich vorgeschriebenen vier Wochen Ferien, sondern fünf oder sogar sechs Wochen. Das alles kostet natürlich.
Haben wir in der Schweiz ein Problem bei der Kündigung von älteren Arbeitnehmenden?
Ich würde nicht sagen, dass wir ein eigentliches Problem haben, aber die Situation spitzt sich zu, weil Entlassungen von Älteren aus den erwähnten Gründen zunehmen. Ein weiterer Punkt ist die zunehmende Arbeitslosigkeit bei den über 50-Jährigen. Im Jahr 2003 hatten wir bei dieser Altersgruppe eine Arbeitslosenquote von nur rund 15 Prozent, 2014 waren es bereits 25 Prozent. Auch die Langzeitarbeitslosigkeit bei den über 55-Jährigen ist zunehmend: 2003 waren 40 Prozent in dieser Altersgruppe länger als ein Jahr arbeitslos, 2012 waren es 60 Prozent.
«Für Personen mit hohem Dienstalter sind Kündigungen besonders demütigend und lösen nicht selten grosse Existenzängste aus.»
Wie beurteilen Sie das Vorgehen des Bundesgerichts, das in mehreren Entscheiden eine erhöhte Fürsorgepflicht gegenüber älteren Arbeitnehmenden festgestellt hat?
Ich möchte meiner Antwort voranstellen, dass die allgemeine Fürsorgepflicht von Arbeitgebern gegenüber ihren Mitarbeitenden unabhängig von deren Alter grundsätzlich in Art. 328 OR gesetzlich geregelt ist. Dort wird der Begriff «Fürsorgepflicht» zwar nicht explizit erwähnt, aber das Gesetz spricht hier vom Schutz der Persönlichkeit des Arbeitnehmers. Ich persönlich befürworte die neuere Rechtsprechung des Bundesgerichts, aber auch der unteren Instanzen, die übereinstimmend davon ausgehen, dass bei älteren Mitarbeitenden und insbesondere auch – was wichtig ist – bei langer Dienstdauer eine erhöhte Fürsorgepflicht des Arbeitgebers besteht, weil Kündigungen für solche Personen besonders demütigend sind und nicht selten grosse Existenzängste auslösen. Sorgen bereiten Betroffenen zum Beispiel die längere Arbeitslosigkeit, die Unterstützungspflichten gegenüber der Familie und den Kindern oder die Amortisierung einer Hypothek. Die Rechtsprechung hat hier die Zeichen der Zeit erkannt. Das Bundesgericht hat richtigerweise das Obligationenrecht, in welchem unter anderem das Arbeitsrecht geregelt ist, ein Stück weiterentwickelt. Die Richter dürfen gestützt auf Art. 1 Abs. 2 des Zivilgesetzbuchs bei Vorhandensein einer sogenannten Gesetzeslücke in einem allerdings beschränkten Umfang quasi als Gesetzgeber agieren. Nicht einverstanden bin ich aber mit dem Bundesgericht, wenn es sich, wie in seinem Entscheid vom November 2014, ohne explizite gesetzliche Grundlage gesetzgeberische und somit unserem Parlament vorbehaltene Kompetenzen anmasst, indem es dem Arbeitgeber vorschreibt, dass er vor der Kündigung eines im konkreten Fall 59-jährigen Mitarbeitenden mit elf Dienstjahren ein bestimmtes Verfahren einhalten muss.
Verstösst diese Rechtsprechung nicht gegen den Grundsatz der Kündigungsfreiheit?
Ja und nein. Zuerst möchte ich betonen, dass die Kündigungsfreiheit ein hohes Gut ist und unserer liberalen Schweizer Wirtschaftsordnung entspricht, denn sie stärkt unseren Standort Schweiz. Es braucht für eine Kündigung im Privatrecht – anders als im öffentlichen Recht oder im deutschen Arbeitsrecht – keine sachlichen Gründe. Auch bei einer missbräuchlichen Entlassung gilt der Mitarbeitende definitiv als entlassen, aber eine solche kann den Arbeitgeber eine hohe Entschädigung kosten. Das Bundesgericht hat im erwähnten Entscheid vom November 2014 sicherlich die Kündigungsfreiheit ein Stück weit eingeschränkt, indem es ein bestimmtes Vorgehen in Zukunft für solche Fälle vorgeschrieben hat. Es hat in diesem Entscheid aber auch die weiterhin geltende Kündigungsfreiheit betont.
«Bei einer missbräuchlichen Kündigung droht eine Entschädigung von bis zu sechs Monatslöhnen.»
Was bedeutet es für einen Arbeitgeber konkret, wenn eine Kündigung als missbräuchlich eingestuft wird?
Ein Arbeitgeber muss damit rechnen, dass er vom Gericht zu einer Entschädigung von bis zu sechs Monatslöhnen verurteilt wird. Zudem besteht für den Arbeitgeber die Gefahr eines Reputationsschadens im Betrieb, denn eine missbräuchliche Kündigung eines Arbeitskollegen spricht sich natürlich unter den Mitarbeitenden rasch herum. Aber auch ausserhalb des Betriebes besteht ein Reputationsrisiko: die Presse wartet ja geradezu auf solche Fälle.
Wie können Arbeitgeber einem solchen Missbrauchsvorwurf vorbeugen?
Gemäss dem erwähnten Bundesgerichtsentscheid vom November 2014 hat der Arbeitgeber ein dreistufiges Vorgehen einzuhalten, um sich nicht einem Missbrauchsvorwurf auszusetzen. Erstens muss er den Mitarbeitenden im Vorhinein über die beabsichtigte Kündigung informieren – er kann also nicht einfach aus heiterem Himmel heraus die Kündigung aussprechen. Zweitens muss er den betroffenen Mitarbeiter über die beabsichtigte Kündigung anhören. Und drittens ist der Arbeitgeber zur Lösungssuche verpflichtet. Als Lösungsmöglichkeit käme die Prüfung einer Weiterbeschäftigung des Mitarbeitenden z.B. durch eine Versetzung innerhalb des Betriebes oder das Offerieren eines tieferen Lohnes oder einer Teilzeittätigkeit in Betracht. Falls ein Konflikt zwischen den Parteien vorliegen sollte, muss ein Arbeitgeber dem Mitarbeitenden auch eine letzte Chance mit Ansetzung einer Bewährungsfrist einräumen. Wie lange aber eine solche Bewährungsfrist sein sollte oder mit welchen Mitteln ein Arbeitgeber eine Weiterbeschäftigung eines Mitarbeitenden anstreben sollte, sagt das Bundesgericht nicht. Dies alles führt logischerweise zu einer gewissen Rechtsunsicherheit, was unbefriedigend ist.
«Die aktuelle Situation bei der Alterskündigung ist unbefriedigend. Es besteht eine grosse Rechtsunsicherheit.»
Ab welchem Alter und nach wie vielen Dienstjahren ist denn nun eine Kündigung missbräuchlich?
Leider kann ich Ihnen diese Frage nicht definitiv beantworten, denn weder im Gesetz noch in den Gerichtsurteilen findet sich eine konkrete Antwort. Die Situation ist also ziemlich unklar und schafft eine grosse Rechtsunsicherheit, sowohl für die Arbeitgeber als auch für die Arbeitneh-menden. Man muss sich also bei dieser Frage an bestehenden Gesetzesvorschriften orientieren. Diese geben gewisse Anhaltspunkte, wie z.B. die im OR geregelte Norm zur Abgangsentschädigung, die festhält, dass Arbeitnehmende ab dem 50. Lebensjahr und nach 20 Dienstjahren Anspruch auf eine Entschädigung haben. Des Weiteren finden wir auch im Arbeitslosenversichertenrecht einen Hinweis: Arbeitslose ab dem 55. Lebensjahr erhalten mit 520 Taggeldern eine höhere Arbeitslosenentschädigung als jüngere Arbeitslose mit nur 400 bzw. 260 Taggeldern. Männliche Arbeitslose erhalten ab dem 61. und weibliche Arbeitslose ab dem 60. Altersjahr sogar noch zusätzliche 120 Taggelder. Ich persönlich finde, dass man aber nicht nur auf ein konkretes Alter abstellen sollte, sondern man müsste das höhere Alter mit einer bestimmten Anzahl an Dienstjahren kombinieren. Es ist daher klar, dass ein 60-jähriger Mitarbeitender mit nur drei Dienstjahren anders behandelt werden sollte als ein 60-Jähriger mit 30 Dienstjahren. Loyalität sollte belohnt werden.
Nehmen wir einmal an, ein über 60-jähriger Mitarbeiter weist eine nachlassende Motivation und altersbedingte starke Leistungseinbussen auf. Kann man einem solchen Mitarbeitenden kündigen?
Aufgrund der Kündigungsfreiheit kann man einem solchen Mitarbeitenden immer kündigen, aber das kann den Arbeitgeber unter Umständen auch einiges kosten. Dies deshalb, weil auch bei solchen Mitarbeitenden stets darauf zu achten ist, dass man das gemäss Bundesgericht geforderte dreistufige Vorgehen einhält. Das Bundesgericht hat in einem Entscheid zur Kündigung eines 64-jährigen Arbeit-nehmenden immerhin festgehalten, dass man in diesem Alter mit einer nachlassenden Motivation rechnen muss und dass dieser Umstand alleine nicht eine Kündigung rechtfertigen könne. Anders sieht es mit den altersbedingten starken Leis- tungseinbussen aus, denn kausal für die Kündigung ist hier ja nicht das Alter des Mitarbeitenden, sondern seine stark gesunkene Leistungsfähigkeit. Aber auch in einem solchen Fall sollte ein Arbeitgeber sich immer an das erwähnte dreistufige Vorgehen halten.
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Zur Person
Dr. Denis G. Humbert, Rechtsanwalt und Fachanwalt SAV Arbeitsrecht, ist Partner in der auf Arbeitsrecht spezialisierten Anwaltskanzlei Humbert Heinzen Lerch Rechtsanwälte in Zürich. Er verfügt über eine mehr als 20-jährige Erfahrung in der arbeitsrechtlichen Beratung und in der Vertretung von Arbeitgebern und Arbeitnehmern, auch vor den Gerichten. Seine bevorzugten Tätigkeitsgebiete sind Arbeits- und Vertragsrecht. Er ist Verfasser zahlreicherPublikationen zumArbeitsrecht und bekannter Referent zu ausgewählten arbeitsrechtlichen Themen und anderen juristischen Themenbereichen. Zudem ist er Mitglied der Fachgruppe Arbeitsrecht des Zürcher Anwaltsverbandes ZAV.
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