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Experten-Interviews
Agiles Arbeiten bei der Swisscom: «Sich konsequent auf den Kunden und seinen Nutzen ausrichten»
Herr Bucher, Agilität ist in aller Munde. Was versteht man bei Swisscom darunter?
Agilität steht für schnelles Reagieren auf neue Anforderungen. Die Veränderungszyklen in unserem Marktumfeld werden immer kürzer. Deshalb müssen wir sowohl als Mitarbeitende als auch als Organisation agiler werden. Indem wir initiativer, schneller und vorausschauender denken und handeln, werden wir anpassungsfähiger und flexibler. Wir holen beispielsweise früh Kundenfeedbacks ein, lernen rasch aus den Aussagen und adaptieren zeitnah unsere Produkte. Indem Produkte früh zu ausgewählten Kundengruppen gelangen, reduzieren wir die Produkteinführungszeit, also die Dauer von der Produktentwicklung bis zur Platzierung des Produkts am Markt. Gleichzeitig steigt die Qualität, weil wir das Kundenfeedback schnell aufgreifen und umsetzen. In der Konsequenz nimmt unsere Produktivität zu, und wir können uns dank kontinuierlichem Lernen stetig verbessern. Agilität bedeutet also, sich konsequent auf den Kunden und seinen Nutzen auszurichten. Dies gelingt am besten mit gemischten Teams und in Zusammenarbeitsstrukturen, die organisationsübergreifend wirken und so mit vereinten Kräften das Beste für den Kunden erreichen.
Wie ist Agilität bei euch organisiert? Welche Bereiche oder Teams arbeiten agil?
Bei uns arbeiten insbesondere Software- und Produktentwicklungsteams nach SAFe, einem Industriestandard für Ablauforganisationen in der agilen Softwareentwicklung. Agile Zusammenarbeitsformen und Modelle werden auch ausserhalb der Softwareentwicklung in der Marketingkommunikation, im Personalbereich und vereinzelt auch in Call-Centern angewandt. In diesen Bereichen werden einzelne Elemente der agilen Zusammenarbeit mit konventionellen Methoden vermischt.
In der Informations- und Telekommunikationstechnik ist der Markt sehr dynamisch, Veränderungen sind Alltag. Wäre es überhaupt noch denkbar, in Ihrer Branche nicht agil zu arbeiten?
Denkbar schon, aber wohl nicht wirklich erfolgreich. Informationen stehen in Echtzeit unternehmensweit zur Verfügung, Produktzyklen werden immer kürzer, viele Technologien immer komplexer. Die klassische Top-down-Führung war über mehrere Jahrhunderte eine erfolgreiche soziale Technologie, passt aber nicht mehr in die heutige Zeit. Wir wären gar nicht konkurrenzfähig, wenn die Entscheidungen bei einigen wenigen lägen und jene, die den Puls am Markt spüren, wenig direkten Einfluss hätten.
«Wir wären gar nicht konkurrenzfähig, wenn die Entscheidungen bei einigen wenigen lägen und jene, die den Puls am Markt spüren, wenig direkten Einfluss hätten.»
Wie muss man sich einen Arbeitstag in einem agilen Team bei euch vorstellen? Nach welchen Methoden wird gearbeitet?
Im Gegensatz zu klassischen Teams gibt es wesentliche Unterschiede: Transparenz, Pull-Prinzip, regelmässige Retrospektiven und priorisierte Aufgaben. Die Mitglieder von interdisziplinären Teams teilen sich die Aufgaben und Arbeitspakete selbst zu respektive übernehmen die Arbeitspakete und Aufgaben, die anstehen, im Pull-Prinzip. Für alle im Team ist damit jederzeit ersichtlich, wer an was arbeitet. In regelmässig stattfindenden Retrospektiven – beispielsweise Daily- oder Weekly-Stand-up-Meetings – werden der Stand der Dinge sowie die Zusammenarbeit im Team besprochen und, wo notwendig, Verbesserungsmassnahmen aufgesetzt, die unmittelbar wirken. Da das Erledigen von fünf bis zehn Aufgaben parallel meist nicht effektiv ist, bearbeiten die Teammitglieder nur wenige Aufgaben, diese aber konsequent und bis zum Abschluss. Wer eine Aufgabe annimmt, erklärt sich bereit, diese fristgerecht und gemäss den definierten Akzeptanzkriterien zu liefern. Stehen zu viele Aufgaben an, werden diese zeitlich priorisiert, der Business Value steht dabei immer im Vordergrund.
Unter dem Begriff «Agilität» hat man ja stapelweise gelbe Post-its im Kopf. Welche Instrumente, Softwareprogramme und Techniken setzt ihr?
In den SAFe-basierten Ablauforganisationen arbeiten wir mit den Softwareprogrammen Jiira und Microsoft Teams. Kanban-Boards finden in allen agilen Teams ihre Anwendung. Hier werden zum Beispiel alle To-dos visualisiert, sodass die Mitarbeitenden sich die Aufgaben entsprechend ihren Fähigkeiten und Prioritäten selbst zuweisen können. In sogenannten Big Room Plannings werden die Lieferobjekte und deren Abhängigkeiten und Arbeitspakete aufgeteilt, für die nächsten drei Monate mit allen Beteiligten erfasst, visualisiert und nach Business Value priorisiert. Scrum ist zum Standard im Projektmanagement geworden. Ein wichtiger Bestandteil agiler Zusammenarbeit ist Selbstorganisation, wozu sich «Getting things done» sehr gut eignet.
Wie war die Akzeptanz der Mitarbeitenden bei der Einführung von agilen Teams? Sind Sie auch auf Widerstände gestossen?
Die grosse Mehrheit der Mitarbeitenden hat bisher positiv auf die agile Transformation von Swisscom reagiert. Klar sind wir auch auf Widerstände gestossen, SAFe beispielsweise regelt die Zusammenarbeit mit zum Teil fundamental neuen Regeln, Ritualen, Abläufen und Rollen. Das geht nicht spurlos an der Organisation vorbei, es kostet zwischendurch Schweiss und (Freuden-)Tränen (lacht). Wir konnten beobachten, dass die Mitarbeiterzufriedenheit bei der Einführung von agilen Spielsystemen meist etwas sinkt, sich wie in anderen grossen Transformationen dann aber nach neun bis zwölf Monaten stark verbessert. Spannungen entstehen vor allem im Zusammenspiel der agilen Ablauforganisation mit den bestehenden, klassischen Aufbauorganisationen.
Wie läuft das Onboarding von neuen Mitarbeitenden? Wie werden Personen, die agiles Arbeiten nicht gewohnt sind, in die Teams eingeführt?
Wir stellen einerseits über die One Swisscom Academy und andererseits über das Swisscom Agile Wiki alle relevanten Informationen, Schulungsunterlagen, Best Practices und Lernzirkel zur Verfügung. Wie in klassischen Teams werden die Mitarbeitenden meist von einem Götti oder einem Gotti eingeführt und in den ersten Monaten begleitet. Ganz im Sinne der agilen Transformation setzen wir dabei stark auf Eigenverantwortung.
«Wir konnten beobachten, dass die Mitarbeiterzufriedenheit bei der Einführung von agilen Spielsystemen meist etwas sinkt, sich nach neun bis zwölf Monaten dann aber stark verbessert.»
Wie sieht es mit der Hierarchie in diesen Teams aus?
Auch agile Organisationformen kennen eine Hierarchie. Nur nehmen neu anders definierte Rollen oder Gremien die klassischen Funktionen der Führung wahr. Beispielsweise legen die Leadership-Rollen die Strategie fest, definieren Prioritäten und sprechen Ressourcen. Sie mischen sich aber nicht in die Art und Weise ein, wie etwas umgesetzt wird. Dies ist in der Verantwortung des Teams. Agile Teams sollen möglichst stark empowert sein, um die für ihre Arbeit notwendigen Entscheidungen selbstständig und mit Blick auf Business Value fällen zu können. Eines der wichtigsten Prinzipien für agile Spielsysteme lautet: wenige, aber verbindlich gelebte Spielregeln. Daher ist klar geregelt, wer welche Entscheidungen fällt. Wo das nicht definiert ist, treten regelmässig Spannungen und Konflikte auf. Was auch in klassischen Organisationsformen beobachtet werden kann.
Teilzeit, Home-Office und Agilität: Passt das zusammen? Gerade in interdisziplinären Teams wäre es doch wichtig, dass alle regelmässig zusammenkommen.
Das ist richtig. Regelmässig stattfindende Retrospektive oder Inspect & Adapt Meetings ohne einzelne Teammitglieder sind nicht effektiv. Auch in den PI Plannings – wo die zu entwickelnden Features für ein Produkt mit Blick auf die nächsten drei Monate gemeinsam transparent gemacht und priorisiert werden – ist die Abwesenheit von einzelnen Rollenträgern nicht ideal. Teams suchen in der Regel selber nach Lösungen und definieren beispielsweise einen gewissen Wochentag als ihren Teamtag, an welchem spezielle Anlässe stattfinden und alle vor Ort anwesend sein müssen.
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