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Experten-Interviews
Active Sourcing: Wir sind die Firma
personalSCHWEIZ: Herr Gloor, Vifor Pharma betreibt ein globales Recruiting, das überwiegend inhouse umgesetzt wird. Warum verzichten Sie weitgehend auf die Unterstützung durch externe Dienstleister?
Jost Gloor: Dafür gibt es verschiedene Gründe. Als ich 2012 das interne Recruiting aufbauen durfte, waren die Kosten ein Hauptgrund. Heute haben wir nahezu keine externen Kosten mehr, dafür aber interne Kosten, die gesamthaft jedoch wesentlich tiefer sind. Ein weiterer, noch wichtigerer Treiber war das Verständnis der Firma aus dem Unternehmen selbst heraus. Wenn wir alle 300 Stellen, die wir pro Jahr durchschnittlich rekrutieren, an externe Dienstleister vergeben würden, hätten wir keine Kontrolle darüber, was extern über die Vifor Pharma erzählt wird. Wenn wir das aber intern machen, wissen wir ganz genau, wie das zukünftige Team «tickt», wie es aufgebaut ist und welche Anforderungen an diese Stelle gestellt werden. Dadurch können wir letztendlich ganz anders mit den Kandidaten sprechen. Mein Credo lautet hier: «Wir sind die Firma.» Ein weiterer Grund ist, dass wir durch die interne Rekrutierung unser eigenes Netzwerk an Kandidaten aufbauen können. Wir haben inzwischen ein Netzwerk mit rund 20 000 Kandidaten aufgebaut, die wir selber angehen können. Unser internes Recruiting verbessert neben den Kosten auch die Qualität und die Geschwindigkeit der Rekrutierung. Sie brauchen dann zum Beispiel auch keine langen Briefi ngs mehr für externe Dienstleister, die womöglich gar nicht in der Schweiz sitzen. Das alles sind Vorteile gegenüber einer Rekrutierung mittels Externer. Diese Vorteile mussten wir uns relativ schnell erarbeiten, denn die Linie musste auch erst einmal von unserer neuen Rekrutierungsstrategie überzeugt werden.
Sie plädieren für ein neues Rollenverständnis im HR: Recruiter sollten die Stellen im Unternehmen hierarchieübergreifend von A bis Z inklusive Administration betreuen. Eine Trennung von strategischen und operativen Tätigkeiten ist Ihrer Meinung nach nicht nötig. Weshalb?
Entgegen dem grossen Trend hin zu einer Segmentierung des Rekrutierungsprozesses bin ich der starken Überzeugung, dass etwas so Persönliches wie die Rekrutierung am besten durch eine persönliche Betreuung von A bis Z sichergestellt werden kann. Dann lohnt es sich, als Recruiter auch einmal administrative Tätigkeiten zu erledigen, die man eigentlich normalerweise nicht so gerne machen würde. Voraussetzung ist natürlich, dass ich auch Mitarbeitende in meinem Team habe, die das auch so machen können und wollen. Damit kann ich den Kandidaten eine ganz andere Betreuungsqualität bieten, da ich genau weiss, worum es bei dieser Stelle geht oder warum ein Team einen bestimmten Kandidaten nicht berücksichtigen kann. So kann den Bewerbern auch eine genauere Begründung für eine Absage gegeben werden. Bei einem segmentierten Rekrutierungsprozess hingegen ist das Risiko viel grösser, dass sich kleinere Qualitätseinbussen am Ende zu einem erheblichen Qualitätsverlust potenzieren. In Ihrer Frage haben Sie auch den hierarchieübergreifenden Aspekt angesprochen: Damit das Recruiting auch spannend bleibt und wir gute Recruiter auch im Unternehmen halten können, betreut jedes Mitglied meines Teams Stellen auf allen Hierarchiestufen, von Mitarbeitenden bis zu den oberen Managementstufen.
«Etwas so Persönliches wie die Rekrutierung kann am besten durch eine persönliche Betreuung von A bis Z sichergestellt werden.»
Ein Statement von Ihnen lautet: «Rekrutierung ist der einzige strategische Teil im HR.» Ist diese Aussage nicht ein bisschen gar eng gefasst?
Diese Aussage habe ich vor einiger Zeit bewusst so provokativ formuliert. Zugegebenermassen ist die Rekrutierung nicht der einzige strategische Teil im HR, aber die Rekrutierung ist das erste strategische Handlungsfeld des HR im Mitarbeiter-Life-Cycle und deshalb auch so bedeutend. Sie ist das Aushängeschild eines Unternehmens und Eintrittstor für zukünftige Mitarbeitende. Denken Sie nur an die Weiterentwicklung eines kleinen Startups, die ohne die richtigen Leute nicht wirklich möglich wäre. Hier muss ganz genau überlegt werden, welche Leute mit an Bord genommen werden sollen. Generell sollte bei der Rekrutierung die Besetzung einer Stelle mit dem optimal passenden Kandidaten – und nicht nur mit einem Toptalent – im Vordergrund stehen.
Welche Instrumente kommen bei der Vifor Pharma beim Recruiting zum Einsatz?
Unser Herzstück ist das Online-Bewerbungssystem auf unserer Homepage, bei dem wir uns bewusst dazu entschieden haben, dass Bewerber sich mit, aber auch ohne ihr Profi l bewerben können. So sollen sich auch Interessenten bewerben können, ohne dass sie 30 Minuten für das Anlegen eines Profi ls aufwenden müssen. Über dieses System verwalten wir auch die Kandidatenprofile, führen das Kandidaten-Stellen-Matching durch und wissen genau, an welcher Stelle des Prozesses ein Kandidat steht. Dieses Online-System ist sehr sicher, da es verschlüsselt arbeitet. Aus Sicherheitsgründen veröffentlichen wir daher auch keine E-Mail-Adressen unseres Recruiter-Teams, da wir E-Mails generell als nicht sehr sicher erachten. Dafür findet jeder Bewerber sofort die direkte Telefonnummer eines jeden Recruiters. Ein zweites Tool ist LinkedIn, über das wir sehr viel rekrutieren. Im deutschsprachigen D-A-CH-Raum verwenden wir auch noch XING, das für uns aber nur dritte Priorität hat. Das einzige Marketing-Tool, das wir einsetzen, ist unser Wettbewerb, bei dem wir jährlich einen Studierenden mit dem «Student of the Year in Life Sciences Award» für sein Marketing-Konzept auszeichnen. Der Gewinn ist dann ein bezahltes Praktikum bei uns. Wir gehen lso auch nicht auf Absolventenmessen, denn um uns als kleineres Pharmaunternehmen neben Novartis und Roche wahrzunehmen, wäre der Aufwand so immens gross, dass sich das für uns nie auszahlen würde. Zudem unterrichten wir auch an der Fachhochschule Nordwestschweiz und der Universität Genf.
Sie fokussieren in der Rekrutierung sehr stark auf das sogenannte Active Sourcing. Was verstehen Sie darunter und wo liegen die Vorteile dieser Methode?
Wir verstehen unter Active Sourcing nicht nur die Direktansprache von Kandidaten, sondern auch die aktive Pflege unserer Kontakte über einen längeren Zeitraum. So sind und bleiben wir in einem beständigen Austausch mit unseren Kontakten über bestehende und zukünftige offene Stellen. Mit der Direktansprache betreiben wir die klassische Arbeit eines Headhunters, dies aber immer unter der Sichtbarkeit der Vifor Pharma, was Vor- und Nachteile hat. Der Vorteil besteht darin, dass unser Kandidat sofort weiss, um welches Unternehmen es sich handelt, ein Nachteil ist die Tatsache, dass man sich nicht mehr hinter einer Zwischenperson verstecken kann und als Unternehmen immer präsent ist.
«Wir verstehen unter Active Sourcing nicht nur die Direktansprache von Kandidaten, sondern auch die aktive Pflege unserer Kontakte über einen längeren Zeitraum.»
Können Sie das konkrete Vorgehen beim Active Sourcing an einem Beispiel erläutern?
Unser Vorgehen ist situationsbedingt jeweils etwas verschieden: Nehmen wir einmal an, wir hätten für eine Stelle zwei Topprofi le in der engsten Wahl. Wir können die Stelle aber ja nur mit einem Kandidaten besetzen. Deshalb überlegen wir, welche Stelle vielleicht in einem, zwei oder drei Monaten für das andere Topprofil passend wäre, und dies teilen wir dann auch diesem anderen Kandidaten mit und bleiben mit ihm in Kontakt. Ein anderes Vorgehen ist die Direktansprache von Kandidaten via Social Media wie LinkedIn oder XING. Zudem nutzen wir unser inzwischen sehr grosses Netzwerk an eigenen Kontakten, die ja selber wiederum auch andere interessante berufl iche Kontakte haben. Dabei ist wichtig, dass man immer möglichst klar und transparent kommuniziert, welches die Chancen und die Herausforderungen einer spezifischen Stelle sind. Manchmal werde ich übrigens auch gefragt, ob wir nicht Angst hätten, dass andere Unternehmen auch bei uns Active Sourcing betreiben könnten. Dann antworte ich immer, dass dies andere Unternehmen ja früher auch schon gemacht hätten, nur halt über Zwischenpersonen wie Headhunter oder Recruiting-Dienstleister.
Ist das Active Sourcing im Vergleich zu anderen Rekrutierungskanälen nicht ein sehr zeit- und kostenintensiver Weg?
Was die Kosten angeht, ist die Sache völlig klar: Wenn man eine Vollkostenrechnung aufmacht, also alle Kosten, auch unsere internen Lohnkosten, berücksichtigt, haben wir unsere «Costs per hire» um 65 Prozent im Vergleich zu früher reduziert, als alle Stellen noch für externe Dienstleister freigegeben waren. Im Moment haben wir in der Schweiz zu 100 Prozent Direktrekrutierung, global gesehen sind es 92 Prozent, bei gestiegener Qualität. Natürlich ist Active Sourcing zeitintensiv, doch dafür sind wir ja auch da, und letztlich ist es eben ein sehr effektiver Weg. Ich kann daher Ihre Frage guten Gewissens hinsichtlich beider Aspekte mit Nein beantworten.
Ihrer Erfahrung nach ist das Active Sourcing auch ein sehr starkes Instrument für das Employer Branding. Worauf muss man hier besonders achten, damit die Unternehmensmarke auch wirklich positiv wahrgenommen wird?
Das ist eine wichtige Frage. Solange die klassischen Grundprozesse in der Rekrutierung nicht sattelfest sitzen, sollte man die Finger vom Active Sourcing lassen. Es ist grundsätzlich ja keine grosse Arbeit, für eine Stelle 20 Leute anzusprechen. Aber nach diesem ersten Ansprechen kommt die grosse Arbeit ja erst: Diese 20 Leute zu betreuen, die sich ja nicht beworben haben, sondern die ich als Unternehmen angesprochen habe, ist viel aufwendiger, als zwanzig klassische Bewerbungen zu betreuen. Wenn man diese Betreuung dann schlecht macht, sich also nicht meldet, keine Ahnung hat oder den Prozess unnötigerweise verzögert, dann kann das für ein Unternehmen richtig negative Folgen haben. Das Offensichtliche, in unserem Fall also einen einfachen, kundenorientierten, schnellen und schlanken Prozess zu haben, ist ja oft das Schwierigste.
Welches sind die Schlüsselfaktoren für ein erfolgreiches Recruiting mit Social Media?
Der wichtigste Faktor ist, dass eine solche Organisation auch ganz klar vom oberen Management gewollt ist und unterstützt wird. Ohne den strategischen Support der Geschäftsleitung ist so etwas nicht möglich. Wenn wir zum Beispiel eine sehr schwierige Rekrutierungssituation für eine bestimmte Stelle hätten und die Geschäftsleitung dann sehr schnell auf den alten, bewährten Rekrutierungskanal Headhunter umschwenken würde, dann wäre man auf verlorenem Posten. Der zweite Punkt ist: Sie brauchen die richtigen Personen im Recruiter-Team, die das auch so machen wollen und können. Drittens brauchen Sie einfache und gute Tools bzw. Systeme, die den ganzen Prozess schnell, schlank und kundenorientiert unterstützen und nicht behindern. Und ein letzter Faktor: Der gesamte Rekrutierungsprozess und seine Teilprozesse müssen natürlich möglichst optimal auf Geschwindigkeit und Qualität ausgerichtet sein. Wenn ich im Unternehmen einen Bewilligungsprozess von vier oder gar sechs Wochen für eine neue Stelle habe, ist es nur logisch, dass die Linie ungeduldig wird.
Welche Fähigkeiten muss ein Recruiter besitzen, um im Social Recruiting erfolgreich zu sein?
Zuerst einmal hat ein Recruiter, der auf die Rekrutierung mit Social Media spezialisiert ist, ein anderes Profi l als ein klassischer HR-Manager. LinkedIn hat einmal etwas vereinfachend das Profil eines Social Recruiters als eine Mischung aus Kommunikationskünstler und Datenspezialist beschrieben. Was mir hier noch fehlt, sind die folgenden Fähigkeiten: eine grosse Resilienz, ein Kunden- bzw. Marketing-Fokus, denn man muss die Firma ja nach aussen verkaufen, sowie ein Faible für ein Consulting, das nicht nur abwartend, sondern auch interaktiv und vorausschauend den ganzen Prozess steuert. Man sollte ein profundes Wissen über die zu besetzenden Stellen haben. Zudem sollte man auch technikaffin sein, d.h. die Online- und Social-Media-Tools entsprechend beherrschen können, aber auch an neuen technologischen Entwicklungen interessiert sein. Darüber hinaus sollte man einen Überblick über allgemeine gesellschaftliche Entwicklungen, aber auch zu Marktentwicklungen in der eigenen Branche haben. Und schlussendlich sollte ein solcher Recruiter auch ein gewisses psychologisches Gespür für seine Kunden – also die Linie und die Kandidaten – besitzen.
Gibt es bei der Vifor Pharma schon heute neue Ideen, wie das Recruiting in 10 Jahren ausschauen könnte?
Wichtig ist es, am Ball zu bleiben bezüglich neuer Ansätze und Technologien. Im Moment ist ja Mobile Recruiting ein grosser Hype. Ich denke, ein grosser Trend wird zukünftig eine Rekrutierung sein, die weniger CV-orientiert, sondern mehr an der Person orientiert ist. Neben den klassischen Faktoren wie Ausbildung und Kompetenzen wird die Persönlichkeit eines Bewerbenden also immer wichtiger werden.
Zur Person
Jost Gloor, MAS in Leadership & Management und Bachelor in Pädagogik, ist Head of Global Sourcing & Recruitment, Global HR Business Partner R&D und Director bei der Vifor Pharma AG. Das Unternehmen der Galenica Gruppe beschäftigt rund 1900 Mitarbeitende und ist eine der weltweit führenden Gesellschaften im Bereich Erforschung, Entwicklung, Herstellung und Vermarktung von pharmazeutischen Produkten zur Behandlung von Eisenmangel. Jost Gloor kann auf langjährige Erfahrungen im HRM und dabei besonders im Recruiting zurückblicken, die er u.a. bei der Careerplus Group und Deloitte Schweiz gesammelt hat. Seine besonderen Interessen gelten dabei dem Employer Branding, Social Sourcing, Talent Acquisition & Management, Change Management sowie dem HR Marketing und dem HR Development. Aufgrund seiner erfolgreichen Realisierung einer fast ausschliesslich auf Social Media und Kandidatendirektansprache basierenden Rekrutierung bei der Vifor Pharma ist er ist ein gefragter Key Note Speaker auf HR-Veranstaltungen zum Thema Rekrutierung. Jost Gloor ist Mitglied von PERIKOM, einem Fachverein für Personalmanagement und Kommunikation, sowie Mitglied der Zürcher Gesellschaft für Personalmanagement ZGP, der grössten Schweizer Fachgesellschaft für HR Manager.