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Rekrutierung: Nur Amateure fragen nach Stärken und Schwächen!
Das HR schreibt: Diesen Monat mit Diana T. Roth, HR-Mentorin und Buchautorin
Das Gerücht hält sich hartnäckig, dass erfahrene Interviewer Bewerbende nach Stärken und Schwächen fragen sollten. Online findet man unzählige Tipps und Tricks, wie Fragen derart raffiniert als Königsfrage platziert werden. Gleichzeitig erhalten Jobsuchende von Tante Google unglaublich viele Passepartout-Antworten, die sie angeblich nicht in die Bredouille bringen.
Bei meinen ersten Bewerbungsgesprächen als Interviewerin tappte ich selbst in diese Falle. Ich bemerkte jedoch, wie der Bewerber mir die Stärken und Schwächen an den Fingern abzählte und dabei auswendig herunterrasselte. Dabei huschten die Augen nach oben, um mir den Eindruck zu vermitteln, dass diese Frage jetzt völlig überraschend und unerwartet sei.
Meine persönlichen «Stärken-Favoriten» sind Ehrlichkeit, Pünktlichkeit und Zuverlässigkeit – anscheinend sind diese drei Eigenschaften nicht selbstverständlich, warum sonst nennt man sie hier? Am liebsten mag ich jedoch die genannten Schwächen: «Ich bin ungeduldig und neige zu Perfektionismus.» Liebe Personaler, wenn Sie auf dilettantische Fragen Scheinschwächen präsentiert bekommen, sagt das mehr über Sie aus als über den Bewerber.
Was steckt hinter dieser Frage? Es ist der Wunsch, noch mehr über den Kandidaten zu erfahren und eine subjektive Selbstbeurteilung zu hören. Was noch vor 30 Jahren erfolgversprechend erschien, entpuppt sich heute als Farce. Wussten Sie, dass Karrierecoachs gerade diese Frage mit ihren Kunden üben? Ein Bewerber verriet mir, dass sein Stellenvermittler mit ihm sogar jede mögliche Antwort gut vorbesprochen und geübt hatte. Im Anschluss erhielt er die Musterantworten als E-Mail zugesandt mit dem dringenden Hinweis, diese mehrfach kurz vor dem Gespräch durchzulesen.
Neulich guckte ich «Tatort». Als die grimmige Kommissarin den Täter fragte: «Wo waren Sie gestern Abend zur Tatzeit?», erschrak ich heftig. Verhörfragen gibt es offensichtlich auch bei der Mordkommission. Ich denke, dort gehören sie auch hin.
Diese Kolumne ist in der Ausgabe September 2020 von personalSCHWEIZ erschienen.