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Einfach gedacht: E.T. wollte doch nur nach Hause telefonieren

Mittwoch, 30. November 2022 – ein Tag, der in die Geschichte einging. Nicht so abrupt wie zum Beispiel eine Naturkatastrophe, sondern eher schleichend. Aber ich spürte, dass dieser Tag unsere Welt auf den Kopf stellen würde. Nichts würde so bleiben, wie es einmal war.
Was an dem Tag auf die Welt losgelassen wurde, erinnerte mich stark an die Erfindung des Internets. Ich habe das Bild noch klar vor meinem geistigen Auge. Mein erster Surf im World Wide Web. Das Einwahlgeräusch meines 14,4-kb/s-Modem ist auf ewig in meinen Erinnerungen eingebrannt.
Ich sass an meinem Studentenschreibtisch in meiner 1-Zimmerwohnung und starrte in einen riesigen Monitor. Er hatte die Grösse eines kleinen Reisekoffers und gefühlt das Gewicht einer Mülltonne. Ich kam mir vor, wie E.T., der gerade nach Hause telefoniert.
Meine erste Webseite, die ich öffnete, war die von America Online (AOL). Ich registrierte eine E-Mail-Adresse, ohne zu wissen, wofür. Niemand aus meinem Umfeld hatte damals eine. Warum also dieser Hype um das Internet?
Jahrzehnte später – am 30. November 2022 – erlebte ich ein ähnliches Gefühl. Diesmal war es nicht das Internet, sondern künstliche Intelligenz. OpenAI machte ChatGPT für alle zugänglich – kostenlos und ohne Einstiegshürden. Meine ersten Gedanken: «Wow, die KI liefert mir in Rekordzeit Antworten. Bei Google muss ich stundenlang Resultate durchforsten.»
Stand heute nutzen ca. 200 Mio. Menschen das LLM (Large Language Model) von Open AI mindestens einmal im Monat. Doch was Open-AI, das Unternehmen hinter ChatGPT, auf die (Arbeits-)Welt losgelassen hat, ist mehr als nur ein virtueller Gesprächspartner: Es ist die totale Disruption unserer Arbeitswelt.
In den letzten zwei Jahren wurde künstliche Intelligenz nicht nur salonfähig gemacht, sondern ist für viele – mich inklusive – aus dem Alltag nicht mehr wegzudenken. Ich meine damit nicht unsere smarten Geräte wie Fitnesstracker, Handys oder Google Maps, die künstliche Intelligenz seit vielen Jahren im Hintergrund nutzen. Sondern die aktive Nutzung und Einbindung der KI-Tools in unsere Berufsleben und Jobs. Wir sparen durch KI-Tools wertvolle Lebenszeit und sind produktiver. Ich würde den Zeitgewinn bei mir locker auf mehrere Wochen beziffern (seit Dezember 2022).
Die Zukunft unserer Arbeitswelt ist in disruptiven Zeiten vor allem eine Frage der Verantwortung. Unternehmen müssen jetzt handeln: KI nicht nur für ihren Profit und ihre Produktivität implementieren, sondern Mitarbeitende mit auf die Reise nehmen. Doch das allein reicht noch nicht aus. Unsere starren Arbeitsstrukturen, Relikte aus dem Industriezeitalter, brauchen ganz dringend ein Update. Es kann nicht sein, dass KI zwar unsere Effizienz verdoppelt, aber unsere Arbeitsbedingungen gleich (schlecht) bleiben. Wenn Unternehmen weiter nur auf «höher, schneller, mehr» setzen, ohne ihre Organisationsstrukturen neu zu denken, werden Überlastung, Burn-outs und Jobverluste die Folge sein. Daher mein Appell an Unternehmen: Lasst uns KI so in unsere Arbeitswelt einbinden, dass alle davon profitieren. Amen.
«Einfach gedacht» ist die neue regelmässige Kolumne von Selma Kuyas.